0100 - Die Schule der Dämonen
sofort an seinem Verhalten gemerkt, daß etwas nicht stimmte.
Zamorra machte eine abwehrende Handbewegung. Er Wollte jetzt nicht abgelenkt werden. Voll konzentrierte er sich auf sein Amulett. Wenn sich die Wärmeentwicklung verstärkte, dann bedeutete das, daß das Unbekannte näher kam. Aber das war nicht der Fall. Das Brennen auf seiner Brust, erinnernd an leichte Nadelstiche, blieb gleichmäßig.
Schnell kam der Professor zu einem Entschluß. Wenn er der Sache auf den Grund gehen wollte, mußte er die Wohnung verlassen.
Er winkte den beiden erstaunten Frauen kurz zu — auch die Hausmeisterin musterte ihn mit zusammen gekniffenen Augen — und murmelte: »Gleich wieder da. Habe was unten im Wagen vergessen.« Dann ging er mit schnellen Schritten aus der Wohnung.
Als die Aufzugskabine nach unten glitt, spürte er sofort, daß das Brennen auf seiner Brust intensiver wurde. Er war auf dem richtigen Weg.
Der Lift hielt im Erdgeschoß. Zamorra stieg aus und eilte zur Haustür. Der Talisman entwickelte immer mehr Hitze. Schon schienen es keine Nadeln mehr zu sein, die sich in seine Haut bohrten, sondern die Spitzen kleiner Taschenmesser.
Der Professor zog die Haustür auf, trat hinaus auf die Straße. Unangenehmes Herbstwetter schlug ihm entgegen. Ein kühler Wind, Nieselregen, Lichtverhältnisse, die trotz der erst nachmittäglichen Stunde das Einschalten der Straßenlaternen gerechtfertigt hätten. Der trübe Tag hatte dennoch zahlreiche Menschen auf die Straße gelockt. Nicht zuletzt auch deshalb, weil sich schräg gegenüber eine Bushaltestelle befand.
Unverzüglich ließ Zamorra seine Blicke durch die Gegend schweifen. Seine Augen brauchten nicht lange zu suchen. Das Ungeheuerliche drängte sich sofort in seinen Gesichtskreis.
Dämonen!
Der Professor konnte es nicht fassen. Der Anblick höllischer Sendboten war ihm nichts Ungewohntes. Oft schon war er in der Vergangenheit mit Kreaturen aus der jenseitigen Welt konfrontiert worden. Daß sie sich aber mitten am Tag, auf einer belebten Straße der Pariser Innenstadt ganz offen zeigten, hatte er bisher noch nicht erlebt.
Und doch war es so.
Dort drüben, auf der anderen Straßenseite, standen sie. Zwei Dämonen…
Furchtbar sahen sie aus. Groß, kräftestrotzend, von einer Aura unendlicher Bösartigkeit umgeben.
Sie hatten sich, nur wenige Meter von der Bushaltestelle entfernt, in einen Hauseingang gedrückt. Ihre widerwärtigen Schädel, die makabren Travestien eines Raubvogels und einer dreiköpfigen Schlange, waren nach oben gereckt. Mit feuersprühenden Augen glotzten sie auf eine ganz bestimmte Stelle: auf eins der beiden Fenster von André d’Avallons Wohnung!
In Sekundenbruchteilen wurde Zamorra einiges klar. Hatte er bisher noch gelinde Zweifel gehabt, daß d’Avallon tatsächlich einer bedrohlichen Sache auf die Spur gekommen war, so schwanden diese jetzt blitzartig dahin. Die Gegenwart der Dämonen, die Tatsache, daß sie die Wohnung des jungen Telepathen beobachteten, warfen auch gleich ein bezeichnendes Licht auf die Natur dieser bedrohlichen Sache.
Im ersten Augenblick blieb Zamorra ein bißchen unschlüssig vor dem Apartmenthaus stehen.
Wie sollte er vorgehen? Abwarten, was die Unholde aus dem Jenseits von sich aus tun würden? Angreifen und versuchen, sie mit Hilfe der in seinem Amulett schlummernden Kräfte des Lichts zu vernichten?
Die Entscheidung wurde ihm aus der Hand genommen.
Die mißgestalteten Schädel der Dämonen ruckten plötzlich herum. Ihre Flammenaugen richteten sich auf ihn, durchbohrten ihn förmlich. Der Professor spürte, wie unsichtbare Tentakel nach seinem Bewußtsein griffen.
Sofort traten die Abwehrkräfte seines Amuletts in Aktion. Der geistige Druck, den Zamorra soeben noch verspürt hatte, verflüchtigte sich.
Die gräßlichen Fratzen der unheiligen Gesellen dort drüben verzerrten sich, nahmen noch abscheulichere Formen an. In ihren dämonischen Augen irrlichterte es. Sie hatten erkannt, daß ihnen hier jemand gegenüberstand, der ihren unseligen Machtmitteln Widerstand entgegensetzte.
Bewegung kam in ihre massigen, schleimigen Schuppenkörper. Die Tür des Hauseingangs, in dem sie standen, wurde aufgestoßen. Die Dämonen schlupften hindurch, verschwanden aus dem Blickfeld des Professors.
Zamorra gab seine abwartende Haltung auf. Die Ungeheuer versuchten zu fliehen. Das wollte und durfte er nicht zulassen. Unter keinen Umständen.
Er lief los, überquerte mit langen Sätzen die regennasse Straße.
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