0100 - Die Schule der Dämonen
halten soll, weil er euch mit seinem Gequatsche daran hindert zu verstehen, was der dicke Hoss gerade Little Joe erzählt.«
Mit großen Augen blickten ihn die Schüler an. Keiner von ihnen sagte ein Wort. Aber in ihren Gesichtern arbeitete es.
Der Lehrer lächelte. »Ah, ich kann mir schon vorstellen, was ihr jetzt denkt. Was tut euer Vater? Er wird natürlich empört sein und euch die Leviten lesen. Selbstverständlich müßt ihr euch auch das nicht gefallen lassen. Nun, wenn ich euch so ansehe… ihr seid fast alle groß und kräftig. Ihr müßtet Manns genug sein, den Störenfried aus dem Zimmer zu jagen. Und falls er doch stärker als ihr sein sollte… es wird sich doch irgendwo ein Gegenstand finden lassen, mit dem ihr ihm handgreiflich klarmachen könnt, wer etwas zu sagen hat und wer nicht. Ich denke da beispielsweise an ein Stocheisen, eine Nippesfigur — irgend was, womit man kräftig zuschlagen kann. Ihr versteht schon.«
Immer noch sagte keiner der Schüler ein Wort. Aber die Ausführungen des Lehrers waren nicht ohne Wirkung geblieben. Einige der Jungen nickten bereits beifällig.
»Übrigens«, sagte Alain Lumière noch wie beiläufig. »Heute abend läuft im Fersehen ziemlich spät noch ein toller Wildwestfilm. Es wird sich doch keiner von euch vorher ins Bett stecken lassen, was?«
Die Mienen der Schüler verrieten, daß ihre Eltern verdammte Schwierigkeiten bekommen würden, wenn sie einen solchen Versuch unternehmen sollten.
***
Am anderen Morgen fuhren Zamorra und Nicole gleich nach dem Frühstück los. Der Verkehr hielt sich in Grenzen, und so kamen sie bereits vor Mittag in Paris an.
Die Wohnung André d’Avallons lag in einer kleinen Nebenstraße der Avenue Bosquet, in unmittelbarer Nähe des Quai d’Orsay. Das Haus war ein moderner Apartmentneubau mit allen Schikanen. Aluminiumfassade, Marmorsockel, getönte Fenster. Hier zu wohnen, war nicht billig. Aber d’Avallon konnte sich das leisten. Ein Mann, der die Fähigkeit besaß, die Gedanken anderer zu lesen, kannte selbstverständlich keine Geldsorgen.
Professor Zamorra und seine Sekretärin parkten ihre schwarze Citroën-Limousine unmittelbar vor dem Haus und verließen das Fahrzeug. Der Telepath wohnte in der obersten Etage. Nicole legte ihren Zeigefinger auf den Klingelknopf.
Nicht unerwartet blieb die Haussprechanlage stumm. D’Avallon war wohl nicht zu Hause. Die beiden ließen sich dadurch jedoch nicht entmutigen. Nicole läutete bei einem der nächsten Nachbarn. Eine unwirsche Männerstimme schallte aus der Membrane und erkundigte sich, wer, zum Teufel, denn da sei. Nicole erklärte, daß sie eigentlich zu d’Avallon wolle, und fragte den Mann, ob er vielleicht wisse, wo sie ihn finden könne. Ihre melodische Stimme schien den Mann etwas zu besänftigen. Er teilte ihnen mit, daß er keine Ahnung vom Verbleib d’Avallons habe, riet ihnen aber, sich bei Dabouille zu erkundigen.
Der Name Dabouille stand auf einem der untersten Klingelschilder. Nicoles Zeigefinger trat wieder in Aktion. Kurz darauf wurde aufgedrückt. Zamorra und Nicole gingen in den Hausflur.
Im Türrahmen einer der Erdgeschoßwohnungen stand eine ältere Frau, die ihnen erwartungsvoll entgegenblickte.
»Madame Dabouille?« forschte der Professor.
Die Frau nickte, gab sich anschließend als Frau des Hausmeisters zu erkennen.
Zamorra sagte, was zu sagen war, stellte dabei auch sich und Nicole vor.
Zu seiner angenehmen Überraschung war sein Name der Hausmeisterin nicht unbekannt.
»Oh ja«, sagte sie, »Monsieur d’Avallon hat schon von Ihnen erzählt. Sie sind ein berühmter Mann, nicht?«
Der Professor ging auf das Kompliment nicht weiter ein. »Sie kennen Monsieur d’Avallon näher?« fragte er statt dessen.
»Monsieur d’Avallon ist ein einsamer junger Mann«, antwortete die Frau. »Wir trinken manchmal eine Tasse Kaffee zusammen. Und ich kümmere mich ein bißchen um seine Wohnung. Staubsaugen, Fensterputzen und so.«
Zamorra war ein guter Menschenkenner. Keine Frage, daß diese Frau dem jungen Telepathen mütterliche Gefühle entgegenbrachte. Es durfte davon ausgegangen werden, daß sie am Wohlergehen d’Avallons interessiert war. Der Professor zögerte deshalb nicht, ihr von dem unterbrochenen Telefonat mit ihrem Schützling zu erzählen und ihr klar zu machen, daß er sich um den jungen Mann sorgte.
»Haben Sie eine Ahnung, von wo aus er mich angerufen haben könnte, Madame?« fragte er zum Schluß.
Hilflos zuckte die Hausmeisterin
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