0103 - Ich - der Mörder Jerry Cotton
so daß sie zwischen Phil und mir lag. Dann würde sie wohl vernünftig werden…
Vielleicht wundern Sie sich, daß wir so vorsichtig waren. Aber wir hatten in Erfahrung gebracht, daß Mabel Rossly nicht nur eine oder gar mehrere Pistolen besaß, sondern sogar jede Woche einmal auf einem Schießstand damit übte. Wie uns der Wärter des Standes erzählt hatte, traf sie von fünf Schüssen viermal das sich bewegende Ziel…
Ich weiß nicht mehr ganz genau, auf welcher Etage ich schon angekommen war, als ich sie plötzlich über mir um den nächsten Treppenabsatz herabkommen sah. Es mußte mindestens die achte Etage sein.
Als sie mich erblickte, stockte sie einen Augenblick.
»FBI!« rief ich ihr zu. »Geben Sie's auf!«
Sie fuhr zurück und war dadurch in Deckung hinter der nächsten Treppe. Ich hatte die Pistole in der rechten Hand und stürmte mit laut hallenden Schritten über die eiserne Treppe nach oben.
Plötzlich kam ihr Kopf wieder zum Vorschein. Ihr Kopf und ihre Hand. Ein Stück unter dem weißblonden Haar starrte die schwarze Mündung einer Pistole auf mich. Ich war keine vier Yard von ihr entfernt.
Mein Arm flog hoch, mein Zeigefinger krümmte sich, während ich mich schon flach nach vorn auf die eiserne Treppe warf.
Der Schuß krachte laut durch die Stille dieser luftigen Höhe. Ich rutschte ab und krachte von Stufe zu Stufe. Mit dem Kinn schlug ich auf eine Eisenkrampe, die das Geländer hielt. Für ein paar Sekunden wurde es mir schwarz vor den Augen.
Als meine Rutscherei aufhörte, lag ich auf der nächstunteren Plattform. Als ich wieder klar sehen konnte, merkte ich, daß meine Beine und mein Unterkörper über die Plattform hinaus in die Luft hingen.
Ich habe verdammt schnell nach einer Geländerstrebe gegriffen. Das können Sie mir glauben. Gleichzeitig hatte ich dieses eigenartige Gefühl im Magen. Es ist nicht angenehm, im achten oder neunten Stockwerk den Boden unter den Füßen zu verlieren.
Mit einem Klimmzug zog ich mich hoch, schwang die Beine auf die Plattform und rappelte mich auf. Ich hatte scheußliches Glück gehabt. Wenn ich nur zwei Sekunden länger benommen gewesen wäre, hätte ich die neun Stockwerke durch die Luft zurückgelegt.
»Haa-yy!« hallte Phils Stimme von oben herab. »Haa-ayy, Jeeerryy! Aaal-lees ookaay?«
Ich klopfte mir ein bißchen Staub vom Anzug, sah die Treppe hinauf und entdeckte die reglose Gestalt von Mabel Rossly auf dem nächsthöheren Treppenabsatz.
»Oookaayü!« rief ich hinauf.
Dann stieg ich vorsichtig die Treppe hinan. Wie gesagt, bei der Frau rechnete ich mit jeder Möglichkeit und jeder Überraschung.
Aber meine Vorsicht war unbegründet. Meine Kugel hatte genau in die weiße Stirn der skrupellosen Gangster-Chefin ein kleines Loch gerissen.
Mabel Rossly war tot…
***
Tonio Berucci stammte aus einer neunköpfigen Familie, die Anfang 38 in die Staaten eingewandert war, sich in New Vork angesiedelt hatte und mit ihren fleißigen Söhnen bald ein hübsches Sümmchen Dollars verdient und gespart hatte.
Von den Ersparnissen kaufte Vater Berucci mit Hilfe eines zusätzlichen Bankkredites seinen ersten Lastwagen und eröffnete die Spedition »Berucci und Söhne«.
Abends gegen sieben hatte Tonio seinen großen Milchtankwagen in die Garage gefahren. Im Aufträge einer Molkerei-Genossenschaft fuhr Tonio täglich viertausend Liter Milch von einer Großverteilungsstelle zur Molkerei-Filiale im Viertel um die Stuyvesant Town.
Er schob sich eine Zigarette zwischen die Lippen, nahm sich Feuer und wollte die kleine Baracke neben den Garagen betreten, wo der Vater sein Büro und die Söhne sich einen Duschraum eingerichtet hatten. Duschen, Umziehen, und er war fertig für Lisa. Er kannte sie seit vier oder fünf Monaten, und er war ziemlich sicher, daß er sie heiraten würde. Lisa war ein prächtiges Mädchen, und sie verstand ihn so gut. Außerdem war sie gar nicht so wie die meisten. Sie tanzte gern, gewiß, aber sie hatte immerhin kochen und nähen gelernt. Haushaltsqualitäten, die heutzutage nicht von vielen Mädchen geschätzt werden…
Tonio betrat die Baracke. Als er gerade im Duschraum verschwinden wollte, ging die Tür zum Büro auf, und der Vater erschien.
»Mama mia!« rief er in seiner temperamentvollen Art. »Du bist es, Tonio!«
Tonio drehte sich in der Tür um.
»Ja! Wen hast du de n erwartet?«
»Roberto! Dieser Schlingel kommt wieder nicht von seiner Tour zurück! Oh, dieser Roberto! Er bringt mich ins Grab! Er ist schuld,
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