0105 - Rückkehr aus dem Geistergrab
blicken.
Nicole Duval durchquerte den Raum.
Sie bemerkte nicht die rußgeschwärzten Balken über sich. Nicht den Fußboden aus gestampftem Lehm. Sie nahm überhaupt keine Einzelheiten wahr.
Mit traumwandlerischer Sicherheit fand Nicole Duval die Falltür unter dem Fenster, an der Stirnseite des einstigen Schafstalles. Der strenge Geruch der Tiere hing noch immer in der Luft. Nicole aber roch nichts. Ihre Sinne waren wie abgeschaltet. Sie gehorchte einem anderen Eindruck. Stand im magischen Bann einer fremden Macht, die ihr ganzes Sinnen und Trachten ausfüllte.
Stumm bückte sich Nicole.
Ihre Finger fanden den Eisenring. Sie hob die Klappe und machte sich an den Abstieg…
***
Die Landsknechte ergriffen den Professor. Sie rissen ihm die Hände auf den Rücken und fesselten ihn. Dann stießen sie ihn vorwärts. Sie führten ihn vor den Scharfrichter, dessen tödliche Zeremonie Zamorra unterbrochen hatte.
Es fiel kein Wort.
Zamorra hätte meinen können, alles sei nur ein wüster Traum, wären nicht diese anspornenden Stöße mit den Hellebarden gewesen. Ein dutzendmal stießen ihn die Schergen, während der Professor die wenigen Stufen zum Schafott erklomm.
Dann stand Zamorra vor dem Scharfrichter von Mazamet, um den sich so viele Legenden rankten.
Zamorra begegnete dem Blick des Unheimlichen furchtlos.
Der Atem des Maskierten bewegte den Gesichtsschleier. Manchmal wurde ein brutales kantiges Kinn sichtbar. Und die untere Partie eines geisterhaft blassen Gesichtes.
Kalte Augen funkelten den Gefangenen an. Dieser Blick wirkte zwingend. Eine weniger gefestigte Persönlichkeit als die des Professors hätte sich bestimmt dem fremden Willen unterworfen. Wäre hypnotisiert worden.
Zamorra aber kannte sich auch auf diesem Gebiet aus. Er hatte seine phänomenalen Fähigkeiten des öftern unter Beweis stellen können. Und manches stumme Duell mit einem erstklassigen Gegner ausgefochten.
Zamorra fürchtete sich auch diesmal nicht. Er bangte nur um das Leben seiner Sekretärin, die er ahnungslos nach Mazamet gerufen und damit in eine tödliche Falle gelockt hatte.
Es kam jetzt darauf an, nicht selbst in Abhängigkeit zu geraten. Sich zu wehren, den Angriff zumindest abzublocken.
Zamorra konnte sich zwar nicht erinnern, jemals einen Zweikampf zu solcher Stunde, an solchem Ort ausgetragen zu haben, er bezwang aber seine Furcht.
Fast eine Minute dauerte die Auseinandersetzung. Dann hatte der Scharfrichter begriffen, daß er trotz aller Hypnosekünste diesen Willen nicht unterwerfen konnte. Zu stark sperrte sich Zamorra.
Fast eine Minute kämpften die beiden darum, jeweils über den anderen die Oberhand zu erringen. Sie trennten sich unentschieden, was diesen Punkt betraf.
Unwillig brach der Henker das Experiment ab.
»Kann ich jetzt gehen?« fragte Zamorra spöttisch.
»Gehen schon - aber nicht so, wie Sie denken.«
Der Maskierte winkte unwillig seinen Helfershelfern.
Die Landsknechte mit hohen Stulpenstiefeln und Lederwämsen, bunte Federn an den Hüten und blinkende Hellebarden in den Fäusten, drehten augenblicklich den Gefesselten herum und stießen ihn unsanft vorwärts.
Die Schritte der Gruppe ließ die Bohlen erzittern, aus denen das Galgengerüst gezimmert war.
»Ich weigere mich!« stieß Zamorra hervor. »Ich gehe nicht ohne meine Sekretärin. Nicole Duval steht unter meinem persönlichen Schutz.«
Diesmal reagierte der Scharfrichter von Mazamet wie gewünscht. Er sprach. Deutlich waren seine Worte zu hören. Er war also kein Gespenst, sondern ein Wesen aus Fleisch und Blut. Was die Aufgabe sehr erleichterte…
»Niemand hat Sie eingeladen, Professor. Noch weniger Ihre - zugebenermaßen attraktive - Sekretärin. Würden Sie mir Ihr Wort geben, daß Sie anschließend kommentarlos aus dieser Gegend verschwinden?«
Zamorra begriff seine Chance. Er wog blitzschnell die verschiedenen Argumente ab. Dann lehnte er brüsk ab.
»Ich bin der Meinung, daß Sie unter dem Deckmantel des Scharfrichters von Mazamet verschiedene Verbrechen begehen werden, die ich nicht dulden kann. Es wäre schädlich, zu kapitulieren und Ihnen freie Hand zu geben.«
Zamorra sagte es sehr entschieden. Dabei versuchte er, einen Blick auf Nicole Duval zu werfen, die noch immer in ihrer unnatürlichen Stellung ausharren mußte - eine reichlich lange Zeit für eine Todeskandidatin. Trotzdem blieb sie stumm, beschwerte sich mit keinem Wort und flehte auch den Professor nicht an, sie unter allen Umständen zu allen Bedingungen
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