Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
0105 - Rückkehr aus dem Geistergrab

0105 - Rückkehr aus dem Geistergrab

Titel: 0105 - Rückkehr aus dem Geistergrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhart Hartsch
Vom Netzwerk:
man es juristisch nimmt, habe ich Sie gegen Ihren Willen hierhergebracht. Nach den lächerlichen Gesetzen der bürgerlichen Gesellschaft würde ein Gericht von Kidnapping sprechen.«
    »Aber ich könnte doch jederzeit wieder gehen?«
    Robert Houdain blieb eine Antwort auf die Frage des Mädchens schuldig. Er knetete seine feinen langen Spinnenfinger durch, daß die Gelenke knackten.
    Zum erstenmal spürte Nicole Angst. Sie ahnte, daß dieser Mann in der Einöde arbeitete, weil sein Treiben das Tageslicht zu scheuen hatte.
    »Wollen wir anfangen?« erkundigte sich Houdain freundlich. Er wußte, daß er auf keinen Widerstand stoßen würde.
    Nicole, noch immer unter dem hypnotischen Zwang jener rätselhaften Lichterscheinung, die sie hierher gelockt hatte, nickte stumm.
    »Legen Sie sich hin!« befahl der Magier. Einladend deutete er auf eine zerschlissene Couch. »Ich werde Sie jetzt in einen tiefen Schlaf versetzen. Sie werden zu diesem Zweck auf die Perlmuttaugen dieses Totenschädels schauen. Hier ist er. Sehen Sie die Tsantsa an!«
    Robert Houdain stand hochaufgerichtet vor seinem Opfer, hielt den südamerikanischen Schrumpfkopf hoch und ließ ihn leicht hin- und herpendeln.
    Zunächst nahm Nicole noch Einzelheiten wahr. Sie unterschied die bräunliche Hautfarbe von den gelben gebleckten Zähnen, bemerkte den Mundpflock deutlich und die Schnüre aus Bast, die den Mund zusammenzerrten. Sie erkannte die mongoliden Gesichtszüge des Unglücklichen, der wohl weniger einem Kriegszug durch dampfenden Urwald sein schreckliches Ende verdankte, sondern vielmehr dem Fluch und den Beschwörungen eines Schamanen, eines eingeborenen Zauberpriesters. Schrecklich wirkten die erstarrten Gesichtszüge der Tsantsa, die langen seidigen schwarzen Haare und die toten funkelnden Glotzaugen, die seelenlos Nicole anstarrten.
    Das Perlmutt glänzte und glitzerte in allen Farben des Spektrums, Farben, die sich je nach Lichteinfall und Schwingungen auflösten und ineinanderflossen.
    Die montone Bewegung des Pendels wirkte beruhigend und einschläfernd auf die Betrachterin.
    »Sie schließen die Augen und schlafen. Ganz tief. Sie sind sehr müde, entsetzlich müde. So spüren Sie, wie Ihre Glieder schwer werden. Sie versinken in einem Meer von Schlaf. Sie sind bleischwer. Sie sinken und sinken!«
    Ein fanatisches Leuchten glomm in den Augen des Hypnotiseurs, als er die Wirkung seiner Befehle verfolgte.
    Nicole lag völlig entspannt auf der weichen Couch, ein Bein angewinkelt. In regelmäßigen Abständen hob und senkte sich ihre Brust. Sie atmete in einem getragenen Rhythmus.
    »Jetzt konzentrieren Sie sich auf Michele Utraux. Sie suchen ihn in der Vergangenheit. Sie finden ihn. Sie sehen den Scharfrichter von Mazamet. Sehen Sie ihn genau an! Beschreiben Sie ihn!«
    »Er ist groß und schlank«, sagt das Mädchen mit tonloser Stimme. »Er erinnert mich an Sie. Ja, er sieht Ihnen sehr ähnlich. Sie sind sein Ebenbild.«
    »Ausgezeichnet. Was trägt er für Kleidung?« forschte Robert Houdain atemlos.
    Er zog einen Hocker heran und setzte sich neben sein Medium. Sein Blick ruhte unverwandt auf der hübschen Nicole, die angereist war, um Professor Zamorras Gedanken und Beobachtungen zu protokollieren und jetzt stärker in das Geschehnis verstrickt worden war, als ihr lieb sein konnte.
    Nicole zögerte. Sie konzentrierte sich sichtlich mit aller zu Gebote stehender Energie. Trotzdem mußte der Mann seine Frage in dringlichem Ton wiederholen.
    »Jetzt kann ich es erkennen.« Nicole seufzte erleichtert. Die Augenlider zuckten nervös. Sie hielt die Augen geschlossen. Sie zitterte wie ein Rennpferd am Start. Sie gab sich alle Mühe, um zufriedenstellende Ergebnisse zu erlangen.
    »Michele Utraux trägt ein schwarzes Trikot mit Kapuze. Und er läßt einen Gesichtsschleier herunter. Er packt sein scharfgeschliffenes Beil. Jetzt kommt er auf mich zu. Er schaut mich an. Fixiert mich kalt. Er grinst teuflisch!«
    Unruhig wälzte sich Nicole hin und her. Sie zitterte wie vom Fieber geschüttelt. Schweiß stand in dichten Perlen auf ihrer Stirn. Sie ächzte wie jemand, der eine besonders schwere Arbeit ausführt, zuckte wie unter epileptischen Krämpfen. Ihr Gespräch verzerrte sich. Sie sprach gehetzt und abgehackt.
    »Jetzt steht er über mir!« keuchte Nicole. »Er holt aus! Er will mir den Kopf abschlagen. Jetzt löst er sich auf. Er verschwindet einfach, als hätte es ihn nie gegeben. Wohin ist er? Ich sehe ihn nicht mehr!«
    »Nur ruhig!«

Weitere Kostenlose Bücher