011 - Das Mädchen in der Pestgrube
Gang ein. Es war angenehm kühl. Ich hatte erwartet, daß es stickig sein würde, doch die Luft war frisch.
»Und hier, meine Herrschaften«, sagte der Führer, »befinden wir uns in der Kardinalsgruft. Das sind die zwölf Metallsärge, in denen einige der bedeutendsten österreichischen Bischöfe ruhen.«
Ich sah mir die Särge flüchtig an. Der Führer bog in einen schmalen, kurzen Gang ein, und wir folgten ihm weiter. Dann ging es nach rechts ab. Ich blieb stehen. Rechts und links befanden sich Nischen, in denen mehrere Kupfer- und Silberurnen standen. Der Führer ging daran vorbei, und wir gelangten in ein kreisförmiges Gewölbe. In der Mitte des Raumes standen zwei große kupferne Barocksärge, die von mehreren ähnlichen Särgen unterschiedlicher Größe umgeben waren.
»Das ist die sogenannte Herzogsgruft«, erklärte der Führer. »Im größeren der beiden Särge ruht ein ganz berühmter Habsburger, Rudolf IV., der Stifter. Er ordnete 1363 an, daß diese Gruft für ihn und seine Nachfolger errichtet werden sollte.«
Der Führer zeigte auf die Urnen in den Nischen im Nebenraum. »Sie werden sich vielleicht fragen, was sich in diesen Urnen befindet.« Er legte eine Pause ein, und alle sahen ihn interessiert an. »Nach dem Tod wurden die Leiber der Verstorbenen geöffnet, die Eingeweide herausgeholt und in die Kupferurnen getan. Die Herzen legte man indessen in Silberurnen. Die Körper der toten Habsburger ruhen in der Augustinergruft, wo sich auch die Herzen zum Großteil befinden, während die Eingeweide hier in der Herzogsgruft liegen.« Der Führer schwieg sekundenlang, dann sprach er weiter. »Die Särge, die Sie hier sehen, ließ 1784 Maria Theresia anfertigen, da die alten gotischen Särge in der Zwischenzeit schon zerfallen waren.«
Wir erreichten das sogenannte Steinmuseum. An den Wänden standen alte Grabsteine aus Marmor, die wahrscheinlich noch vom Stephansfreithof stammten. Darunter befanden sich aber auch Skulpturen und Statuen, die nach der Zerstörung des Doms erhalten geblieben waren. Ich bemerkte einige Wasserspeier, die auch teilweise noch am Dom zu sehen waren.
»Wir betreten nun den neuen Teil der Katakomben.«
Ich achtete nicht besonders auf die Worte des Führers. Interessiert blieb ich vor einem Karner stehen. Durch eine kleine vergitterte Öffnung konnte ich ins Innere blicken. Hier lagen unzählige Knochen aufgeschichtet und zwischen den Gebeinen Hunderte von Totenschädeln, die mich mit leeren Augenhöhlen anzugrinsen schienen.
»Wie viele Tote liegen hier?« erkundigte sich ein deutscher Tourist neugierig.
»Etwa fünfzehntausend«, sagte der Führer. »Dieser neue Teil der Katakomben wurde 1745 erbaut. Vielleicht interessiert es Sie, wie es dazu kam. Der Stephansfreithof rund um den Dom herum wurde wegen Platzmangel im Jahre 1732 geschlossen. Man begann daher, die Toten in den Katakomben zu bestatten. In den folgenden Jahren wurden mehr als 1000 Tote im alten Teil untergebracht. Doch in den alten Grüften war auch bald kein Platz mehr, denn ein großer Teil der Grabkammern war mit den Gebeinen der Pesttoten gefüllt. Da sich in der Kirche ein ziemlich unangenehmer Geruch breitmachte – die Särge waren nicht sehr stabil, und es roch nach verwesenden Leichen –, wurden Luftschächte eingebaut. Und dann wurde mit dem Bau der neuen Katakomben begonnen. Diese neuen Katakomben bestehen aus Kammern, in denen man die Holzsärge mit den Toten einfach übereinanderstapelte, bis die Kammer gefüllt war. Dann mauerte man sie zu und grub eine andere Kammer. Das ging einige Jahre so, bis etwa zehn solche Kammern entstanden waren. Jede dieser Kammern faßte etwa dreihundert Särge. Da der Platz aber noch immer nicht reichte, öffnete man schließlich die Grabkammern wieder und schaffte die verfaulten Särge fort. Die Gebeine wurden von Bußmönchen und Sträflingen in den Karnern aufgeschichtet. So hatte man wieder Platz und konnte die Grabkammern mit neuen Särgen füllen. Bis zum Jahr 1783 fanden Bestattungen in den Katakomben statt.«
Immer wieder kamen wir an Karnern vorbei, in denen die Knochen fein säuberlich aufgeschichtet waren. Ich dachte daran, was für eine scheußliche Arbeit es für die Sträflinge gewesen sein mußte, die verfaulten Särge zu öffnen und die Knochen aufzuschichten. Es mußte ein unbeschreiblicher Gestank geherrscht haben.
Die Gruppe blieb in einem leeren Raum stehen.
»Sehen Sie diese Leiter?« fragte der Führer. »Sie führt in die sogenannte
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