011 - Das Mädchen in der Pestgrube
Pestgrube. Sie wurde 1768 geschaffen und war mit dem Keller des Deutschordenshauses verbunden. Die Stiege zum Deutschordenshaus wurde einfach zugemauert. In die Pestgrube schaffte man die Gebeine der Pesttoten aus dem alten Teil, um dort neuen Platz zu gewinnen.«
»Darf man die Leiter hinuntersteigen?« fragte ich den Führer.
»Nein«, sagte er. »Das ist verboten.«
Ich blieb neben der Leiter stehen und warf einen Blick hinunter, konnte aber nichts erkennen.
»Da ist nicht viel zu sehen«, sagte der Führer zu mir. »Nur Knochen. Unzählige Gebeine.«
Ich nickte. Auf dem Plan der Katakomben, den ich von den Schwestern hatte, war gerade diese Pestgrube angekreuzt.
»Wie tief ist die Grube?« fragte ich.
»Etwa acht Meter.«
Wir wanderten nach links.
»Hier sehen wir nun eine nicht geräumte Grabkammer. Früher fand man Mumien darin, die jedoch von der Feuchtigkeit zersetzt wurden, als die Wiener Hochquellenwasserleitung fertiggestellt war.«
Ich warf einen Blick hinein. Die Holzsärge waren zerfallen und halb verfault. Zwischen den Trümmern lagen Schädel und Knochen.
Der Rest der Führung interessierte mich nicht mehr besonders. Wir verließen die Katakomben unter der Capistran-Kanzel, zahlten dem Führer das Eintrittsgeld und traten auf die Straße.
»Nun, was sagen Sie dazu?« fragte Helnwein.
»Es war recht interessant«, sagte ich, »aber es half mir nicht viel weiter. Was soll das Kreuz auf der Karte der Schwestern bedeuten?«
»Das kann ich Ihnen leider auch nicht sagen«, meinte Helnwein.
Ich kratzte mir das Kinn. »Es muß irgendeine Möglichkeit geben, in die Pestgrube zu steigen«, sagte ich.
Helnwein blickte mich entsetzt an. »Das wird nicht möglich sein«, sagte er.
Ich grinste. »Mir wird schon etwas einfallen. Der Führer erwähnte einige Luftschächte. Wir werden jetzt mal rund um den Dom gehen und uns diese Luftschächte ansehen. Außerdem soll es ja auch Sargrutschen gegeben haben, durch die die Toten in die Katakomben hinuntergelassen wurden.«
»Es gibt keine Möglichkeit, Sie von Ihrem Vorhaben abzubringen?«
Ich sah ihn an und schüttelte den Kopf. »Wenn es keinen anderen Weg gibt, dann breche ich in den Dom ein.«
»Sie schrecken wohl vor gar nichts zurück?«
»Vor den Toten habe ich jedenfalls keine Angst.«
Wir hatten den Rundgang um den Dom abgeschlossen, aber nichts Besonderes feststellen können. Die Luftschächte waren mit Gittern abgesichert. Ich machte mir aber nicht allzuviele Gedanken. Vielleicht erübrigte sich mein Ausflug in die Pestgrube. Ich konnte mir ohnedies kaum vorstellen, was ich unter diesen Knochen Interessantes finden sollte.
»Was nun?« fragte Helnwein.
»Jetzt sehen wir uns das Haus 80 am Stephansplatz an«, sagte ich.
Es entpuppte sich als zweistöckiger kleiner Bau, der erst vor kurzer Zeit renoviert worden war. Wir traten ein. Es roch muffig. Ein gewölbeartiger Gang lief auf eine Treppe zu. Ich suchte nach einem Verzeichnis der Mieter, fand aber keines.
Auf einer Tür stand: Hauswart . Kurz entschlossen klopfte ich mit der Faust gegen die Tür. Alles blieb ruhig. Ich klopfte nochmals, diesmal stärker.
»Scheint nicht zu Hause zu sein«, sagte ich und wandte mich ab.
In diesem Augenblick kam ein alter Mann die Stufen herunter. Er war klein, sein Haar grau und stark gelichtet, das längliche Gesicht voller Falten. Er ging gebückt und blinzelte uns kurzsichtig an.
»Suchen Sie mich?« fragte er. Seine Stimme klang wie das Quaken eines Frosches.
»Sind Sie der Hauswart?« fragte Helnwein.
»Ja«, sagte das Männchen und schlurfte näher. »Womit kann ich dienen?« Mit diesen Worten blieb er vor uns stehen. Er reichte mir kaum bis an die Brust.
»Hier wohnen doch die Schwestern Reichnitz?« fragte ich.
»Ja«, sagte er.
Helnwein und ich wechselten einen raschen Blick.
»Elisabeth und Maria Reichnitz?« fragte ich.
»Ja, die wohnen hier. Sie sind aber vor ein paar Monaten abgereist.«
»Ich weiß«, sagte ich ungeduldig. »Ich bin ein Neffe. Ich habe seit Monaten nichts von ihnen gehört und mache mir Sorgen ihretwegen. Wäre es möglich, daß ich einen Blick in ihre Wohnung werfe?«
»Das ist nicht möglich«, plusterte sich das Männchen auf. »Das ist völlig ausgeschlossen.«
Ich griff in die Rocktasche, holte einen Hundertschillingschein hervor und hielt ihn dem Alten hin. Er starrte den Geldschein an, dann schüttelte er den Kopf.
»Bedaure«, sagte er standhaft. »Ich kann Sie nicht in die Wohnung lassen, auch wenn
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