0110 - Die Geistergrotte
sein.
Das Wort konnte nur eins heißen: halt!
Zögernd öffnete Zamorra die Augen wieder, als der alles entscheidende Schwerthieb ausblieb. Der Mann, der ihm den Garaus machen wollte, stand über ihm, ließ in diesem Augenblick sein Mordschwert sinken. Ein Knurren der Enttäuschung kam über seine Lippen.
Zamorra riß sich zusammen, versuchte mit aller Kraft, die Augen offenzuhalten, die die fatale Tendenz entwickelten, von selbst zuzufallen. Er gewann die Oberhand über den inneren Schweinehund. Es gelang ihm sogar, zusammengekrümmt wieder auf die Füße zu kommen. Er blickte hoch.
Ein Mann stand vor ihm, ein Mann, der sich in jeder Beziehung von den anderen unterschied. Er trug keinen Lederharnisch, sondern hatte sich in ein leuchtend weißes Gewand gehüllt, das seine hohe, schlanke Gestalt umschmeichelte. Das Gesicht des Mannes verriet Charakter und hohe Intelligenz. Insgesamt strahlte seine ganze Erscheinung echte Würde aus. Er war eine Respektsperson, der niemand von den anderen rohen Gesellen seine Achtung und Unterwerfung versagte.
Der Mann sagte etwas zu Zamorra. Natürlich verstand der Professor kein Wort, aber der Tonfall verriet ihm doch deutlich, daß unverhohlener Spott darin mitschwang.
Fieberhaft überlegte der Parapsychologe. Es gab keinen Zweifel, daß Nicole und er nicht nur in einen fremden Körper, sondern auch an einen anderen Ort und in eine andere Zeit versetzt worden waren.
Was für eine Zeit?
Zamorra verstand einiges von der Geschichte der Erde und ihren Sprachen. Der äußeren Erscheinung und der Hautfarbe nach würde er diese Menschen dem europäischen Siedlungsraum zuordnen. Die Sprache jedoch gab ihm Rätsel auf. Sie wies keinerlei verwandte Merkmale mit den bekannten indogermanischen Sprachwurzeln auf. Aber auch mit dem hamitosemitischen Sprachstamm schien es keine Verwandtschaft zu geben.
Trotzdem versuchte der Professor, zu einer Verständigung zu kommen. Er war sich bewußt, daß ohne eine solche alles nur noch schlimmer werden mußte. Wenn der weißgewandete Mann das Interesse verlor, sanken seine und Nicoles Chancen, mit dem Leben davonzukommen, auf den Nullpunkt.
Zamorra besann sich auf seine außerordentlichen Sprachkenntnisse, die er nicht nur von lebenden, sondern auch von einigen toten Sprachen hatte. Keltisch, Ost- und Westgermanisch, Altägyptisch, Sumerisch, Skythisch - in all diesen Sprachen radebrechte er drauflos. Der Erfolg war jedoch gleich Null. Der Mann gab bei keinem der Worte, die Zamorra hervorstieß, zu erkennen, daß irgend etwas bei ihm klingelte.
Es war hoffnungslos. Zamorra hatte keine Chance, dem Weißgewandeten klarzumachen, daß eine Verwechslung vorlag, daß er und Nicole nicht die Personen waren, die man in ihnen sah.
Wieder redete der Anführer der Horde den Professor an. Zamorra konnte dazu nur die Achseln zucken. Der andere lächelte spöttisch. Höchstwahrscheinlich dachte er, daß Zamorra sich absichtlich dumm stellte.
Er gab seinen Leuten ein Kommando. Diese gehorchten sofort. Mehrere von ihnen warfen sich auf den Professor. Nicht mit gezückten Schwertern, sondern nur mit purer Muskelkraft. Zamorra hatte trotzdem nicht mehr die Energie, Widerstand zu leisten. Das Schwert wurde seinen Händen entrissen, und in wenigen Augenblicken lag er wehrlos auf dem Boden.
Die roten Nebel vor seinen Augen wallten wieder auf. Er spürte, wie ihm das Blut aus der Brustwunde quoll. Auch das verletzte Ohr und der Kratzer an der Hüfte bluteten weiterhin. Wenn der Blutfluß nicht schnell gestoppt wurde, würde er bald ein toter Mann sein.
Das schien auch der Weißgewandete zu erkennen. Er beugte sich über Zamorra. Undeutlich erkannte der Professor, daß er einen seltsam geformten Gegenstand in der Hand hielt. Das Ding sah aus wie eine Wünschelrute aus Fischbein.
Der Mann im weißen Gewand fetzte Zamorras Kaftan zur Seite und legte die Stichwunde auf der Brust frei. Dann preßte er den gabelförmigen Gegenstand gegen das geschundene Fleisch.
Erstaunliches geschah. Zamorra hatte auf einmal des Gefühl, von elektrischem Strom durchrieselt zu werden. Ihm wurde so heiß, als ob ein Feuer in seiner Brust aufloderte. Das Gefühl war aber nicht schmerzhaft, sondern eher wohlig. Und als der Mann die »Wünschelrute« wieder wegzog, merkte Zamorra deutlich, daß die Wunde aufgehört hatte zu bluten.
Während er noch dabei war, nach einer Erklärung für die verblüffende Heilung zu suchen, fuhr der Weißgewandete mit seinen medizischen Bemühungen fort.
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