0111 - Lockruf aus dem Jenseits
Sekundenlang schwieg er; die Nickhäute zogen sich kurz über seine Reptilaugen.
»Das Amulett«, erkannte er im nächsten Moment. »Es schafft eine Verbindung, durch die ich sie orten kann. Zamorra benutzt es als Energielieferant, er muß nahezu am Ende seiner Kräfte sein…«
Der Gnom sprang aus dem Schneidersitz auf, seine Spinnenhände umklammerten Ghoons Schultern. »Was sagst du da, eine Verbindung, Zamorra hat sich von den anderen getrennt…«
Hinter seiner Stirn begann es fieberhaft zu arbeiten. Sein scharfer Verstand analysierte die Situation, kam mit unerbittlicher Konsequenz auf den richtigen Gedanken.
»Er ist unterwegs, als Geist-Einheit, muß seinen Körper verlassen haben. Er sucht uns, Ghoon, will uns aufspüren und vernichten. Die Kräfte, die er dazu benötigt, bezieht er über das Amulett aus seinem Körper. Und er wird uns finden, denn die Zeitunterschiede sind seit seinem Trip in die Vergangenheit verwaschen, scheinen an den Rändern dieser Welt bereits ineinander überzugehen.«
Seine glühenden Augen brannten sich in die des reptielhaften Dämons. »Er wird uns finden, Ghoon, er kommt auf seiner Suche nicht an uns vorbei! Es gibt nur eine Möglichkeit.«
Der schuppige Echsenschädel ruckte herum. Ghoon wich dem Blick des mächtigen Gnom aus. Er hatte Angs, höllische Angst sogar! Angst vor dem, was Pirrx in den nächsten Sekunden aussprechen würde.
Doch Pirrx zögerte nicht, die gefährlichen Worte hervorzustoßen. »Wir müssen es wagen, Ghoon, wir werden nicht umhinkönnen, unsererseits anzugreifen. Auch, wenn wir dabei das Gefüge zusammenbrechen lassen! Wir müssen es tun, denn Zamorra wird keine Sekunde zögern, uns zu vernichten, sobald er uns findet. Er hat nichts zu verlieren, sobald er uns findet, er kann nur gewinnen, und darum wird er rücksichtslos handeln, nicht auf sein eigenes Leben, seine Existenz achten, wenn er uns schaden kann.«
Er machte eine Pause; in seinen Augen glomm ein unheilvolles Feuer. Dann sprach er weiter.
»Einer von uns muß den Lockvogel spielen, Zamorras Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Der andere jedoch wird seinerseits in die Vergangenheit gehen und Zamorras Körper vernichten. Und dieser andere, Ghoon, wirst du sein!«
Ghoon erschauerte, riß sich aus dem Griff der Spinnenhände los. »Pirrx, ich…«
»Es ist unsere letzte Chance, los, mach schon!« zischte Pirrx beschwörend. »Vergiß nicht, daß du es warst, der die Menschen in diese Dimensionen holte, der unbedingt mit ihnen spielen wollte. Der dabei übersah, daß man mit einem Professor Zamorra nicht spielen kann, daß jener seine eigenen Spielregeln macht. Und darum mußt du gehen, Ghoon, diese Scharte auswetzen. Vernichte Zamorras Körper!«
Eindringlich klang seine Stimme, hypnotisierend fast. Ghoon wurde förmlich gefesselt, konnte sich dem Befehl nicht mehr entziehen.
Er wich ein paar Schritte zurück, konzentrierte sich. Und dann unternahm er etwas, das er nie zuvor versucht hatte, was ihm nur gelang, weil die Strukturen jener künstlichen Dimensionen verwischten, miteinander verschmolzen.
Ghoon glitt durch den Zeitstrom in die Vergangenheit…
***
Dr. Artner, Peter, Conny, Babsy und Nicole warteten. Sie konnten nichts anderes tun, waren zur Untätigkeit verurteilt. Vermochten nicht einmal den Standort zu wechseln, weil sie Zamorra und Birgit nicht allein zurücklassen wollten.
Immer wieder sah Nicole nervös auf die kleine, silberne Armbanduhr an ihrem Handgelenk. Zähflüssig verrannen die Minuten, unendlich langsam tropften sie dahin. Und mit jeder verstreichenden Minute wurde die Sorge in der hübschen Französin größer, ließ sie nervöser und unruhiger werden. Immer wieder sah sie auf die beiden ausgestreckten nebeneinanderliegenden Körper, an denen die Kleidung allmählich zu trocknen begann. Ebenso wie die ihre. Doch das nahm sie überhaupt nicht wahr, wurde sich der Tatsache gar nicht bewußt, daß der modische, elfenbeinfarbene Hosenanzug, den sie trug, total ruiniert war. Zerknittert von Feuchtigkeit, angefressen von Säure.
Ihre Gedanken kreisten um Zamorra, auf dessen Brust das leuchtende, erwärmte Amulett lag. Zwischendurch sah sie in die Runde, stellte fest, daß sie alle immer noch schattenlos waren. Sie machte sich um dieses Phänomen keine Gedanken mehr, nahm es kritiklos hin. Ihre Sorge galt nur einzig und allein ihrem geliebten Chef und Brötchengeber.
Sie versuchte, sich vorzustellen, was geschah, wenn Zamorra starb. Nur zu gut wußte sie,
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