0111 - Lockruf aus dem Jenseits
Augen durch rasches öffnen und Schließen der Lider zu vertreiben. Doch der Effekt blieb, jene schwachen Unschärfen. Es war, als vibriere alles wie unter einem Ultraschallstrahl.
Und noch etwas zog seine Aufmerksamkeit sofort auf sich. Das Amulett! Ein grelles, pulsierendes Leuchten ging von dem Drudenfuß aus, strahlte eine ungewisse, diffuse Helligkeit in die Umgebung ab. Gleichzeitig erwärmte es sich.
Dämonische Enflüsse rundum! Höchste Gefahr! Wie Peitschenhiebe zuckten die grellen Warnimpulse durch Zamorras Gehirn. Wieder sah er sich um, blickte auf den unscharfen, flimmernden Boden.
Sekundenlang setzte sein Herzschlag aus, und er sah zur Sonne empor, dann wieder auf den Boden. Doch so sehr sich auch sein Innerstes gegen die Tatsache sträubte, so vermochte er sie doch nicht abzuleugnen.
Er besaß keinen Schatten mehr…!
***
Fast im gleichen Moment vernahm er Nicoles erschrockenen Aufschrei. »Chef, dein Schatten! Er ist verschwunden…«
Von einer Sekunde zur anderen war die Atmosphäre gespannt. Schlagartig wichen seine Gefährten von ihm ab, bildeten einen weiten Kreis. Babsy Castor schlug die Hände vors Gesicht.
Zamorra sab sie an, einen nach dem anderen. Und in jedem ihrer Gesichter erblickte er Mißtrauen. Sie sahen in ihm das nächste Opfer des Dämons, die nächste Gefahr, die es zu überwinden galt. Denn schattenlosen Menschen haftete die Aura der Unmöglichkeit, der gefährlichen Irrealität an.
Zamorra erinnerte sich an Birgit. Sie hatte keinen Schatten geworfen - am Mittag, auf dem Parkplatz der Gesamthochschule. Und niemandem außer Zamorra und Nicole war es aufgefallen!
Doch jetzt fiel es ihm wieder auf. Genauer sah er hin. Das Flimmern der Umgebung reizte seine Augen, ermüdete ihn. Dennoch war zu erkennen, daß Birgit Hansen auch jetzt keinen Schatten warf.
Der Professor sah noch einmal in die Runde. Eine kalte Hand griff nach seinem Herzen, ließ ihn erschauern, als streiche jemand mit einem Eisklumpen über seinen Rücken.
Keiner von ihnen besaß noch einen Schatten! Und das, obgleich die Sonne grell vom Himmel herabbrannte!
Doch - einen Schatten gab es. Das leuchtende, heiße Amulett warf ihn, zeichnete sich als schwarzes Oval auf dem Boden ab. Auch das war eigentlich unmöglich; das Amulett war der einzige Körper, der in diesem Stadium des Eigenleuchtens keinen Schatten hätte werfen dürfen. Denn auch eine Kerzenflamme wirft normalerweise keinen Schatten.
Jetzt fiel auch den anderen diese Anomalie auf. Betreten sahen sie sich an. Angst begann sich in ihren Zügen abzuzeichnen; sie wichen voreinander zurück.
Zamorra hob die Hand.
»Zusammenbleiben!« befahl er. »Dieser Zustand ist ungewöhnlich. Ja, glaubt ihr denn alle, ich könnte dieses Amulett berühren, wenn ich von einem Dämon besessen wäre? Es muß irgendein Phänomen sein, das nur wenig mit dem Dämon zu tun hat. Wir müssen zusammenbleiben, vielleicht bezweckt unser Gegner nur, daß wir uns gegenseitig mißtrauen, uns trennen oder gar die Schädel einschlagen. Wichtiger ist, festzustellen, wieviel Zeit wir nun haben, ehe der Säureregen uns abermals erreicht.«
Er sah zum Himmel. Noch war er wolkenlos. Doch jede Sekunde mochten die Sturmwolken wieder auftauchen, sich das Geschehen wiederholen.
Auf ihre Uhren war kein Verlaß. Sie zeigten die fortlaufende Zeit an, waren von dem Sprung in die Vergangenheit unberührt geblieben. Und auch aus der scheinbaren Länge der Reise vermochte Zamorra keine Schlüsse zu ziehen, noch nie hatte er Analogien zwischen vorgetäuschter Reisezeit und der Zeitspanne, die er überbrückte, bilden können. Es gab keine mathematisch errechenbaren Fixpunkte. In diesem Fall war nicht einmal eine Orientierung nach dem Stand der Sonne möglich. In dieser rätselhaften, dämonischen Welt behielt die grelle Sonne stets die gleiche Position, änderte sie nie. Selbst beim plötzlichen Einbruch der entsetzlichen Finsternis war sie nicht am Horizont versunken, war einfach verblaßt wie ein geisterhaftes Schemen.
Es gab nur die Möglichkeit, grob zu schätzen. Zamorra hatte sich auf eine Spanne von drei Stunden konzentriert und hoffte, daß das Amulett diesen Wert in etwa eingehalten hatte. Gleichzeitig hoffte er, daß diese Zeitspanne ausreichte, einen Ausweg zu finden. Denn ständige Zeitsprünge würden sie sich nicht leisten können, dazu war er selbst rein psychisch nicht in der Lage. Die geistige Energie, die er aufgewendet hatte, um sie alle mitzuversetzen, war ungeheuer und
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