0111 - Lockruf aus dem Jenseits
welches Risiko Zamorras Seelentrip in sich barg, wie verletzlich, angreifbar er in diesem Zustand war.
Seine Chance gegen den Dämon, der sich in dieser bizarren, unheiligen Weit bestens auskannte, waren denkbar schlecht. Und doch hatte er nicht anders handeln können, mußte jede noch so geringe Chance wahrnehmen.
Ein Leben ohne Zamorra… unvorstellbar. Nicht mehr seine Stimme zu hören, das kurze, trockene Lachen, seine Körperwärme zu spüren, seine Hände, wenn er sie sanft streichelte, seine Lippen, seinen erregenden Duft in sich aufzunehmen - das alles durfte nicht Vorbeigehen. Zamorra mußte überleben. Er mußte es einfach.
»Du hast Angst«, sagte jemand neben ihr.
Nicole schreckte zusammen, sah sich um. Babsy Castor hatte sich neben ihr auf den Boden gehockt. »Du hast Angst um ihn, nicht wahr?«
Die Französin nickte stumm.
»Du brauchst dir keine Sorgen zu machen«, sagte Babsy aufmunternd. »Ich… ich weiß nicht, woher ich diese Sicherheit habe, doch ich fühle es. Er wird es schaffen, wird zurückkommen, und das schon bald. Er ist…«
Sie brach abrupt ab, ihre Augen weiteten sich in namenlosem Entsetzen. Ein erschreckender Schrei brach aus ihrem Munde hervor, ihre Hände klammerten sich an Nicole fest.
»Neiiin…!«
Nicoles Kopf flog hoch, ihre Augen suchten nach dem, was Babsy erblickt hatte. Und dann rann das kalte Entsetzen auch durch ihren Körper, ließ ihr förmlich das Blut in den Adern gerinnen.
Der Dämon war da!
***
Ein schauriges, unmenschliches Lachen erscholl und ließ die Menschen erstarren.
Hochaufgerichtet stand das Echsenwesen da, unbeschreiblich in seiner Häßlichkeit. Dampfwolken entwichen dem aufklaffenden Maul. Niemand hatte beobachtet, woher der Schreckliche erschienen war, wie er so rasch und unbemerkt in ihre unmittelbare Nähe gekommen war.
Nicole sah die sich öffnenden und schließenden Klauen, die kraftvollen, geschuppten Arme. Vage begann sie zu ahnen, welche körperliche Kraft das Ungeheuer zu entfalten vermochte, ganz abgesehen von seinem Können auf dem Gebiete der Magie und Hexerei. Ein eisiger Schauer rann über ihren Rücken. Trotz der Hitze, die die grelle Sonne am Himmel verursachte, fror sie, schlugen ihre Zähne wild aufeinander. Sie spürte kaum, wie sich Babsys Fingernägel durch den Stoff in ihre Haut krallten, schmerzhafte Druckstellen hinterließen.
»Zamorra…« hauchte sie.
Der Oberkörper des Monsters fuhr herum. Kalte, tückisch glitzernde Augen richteten sich auf Nicole. Abermals brach das höhnische, durch Mark und Bein gehende Gelächter aus seinem Rachen hervor.
»Ghoon wird euch alle töten«, verstand Nicole. Ghoon! Nie zuvor hatte sie diesen Namen vernommen, ahnte nicht, von welcher Art dieser Dämon war. Doch daß er sich in puncto Bösartigkeit in Nichts von seinen Artgenossen unterschied, hatten sie alle schon gespürt.
Der Echsendämon tappte ein paar Schritte vorwärts. Entsetzt erkannte Nicole, daß er mit jedem seiner raumgreifenden Schritte mehrere Meter zurücklegte. Je länger sie diese personifizierte Abscheulichkeit anstarrte, desto mehr gemahnte das Wesen sie an eine grimmige Ausführung des Tyrannosaurus Rex, wie man sie sich bösartiger nicht vorzustellen vermag.
Ghoons Augen wanderten über Nicoles Körper. Sie fühlte sich von dem Dämon förmlich ausgezogen, obgleich dafür kein Grund bestand. Ghoon war an anderen Dingen interessiert.
Jäh irrte sein Blick ab, erfaßte die beiden liegenden Körper, sah das leuchtende Amulett. Ein zufriedenes Grunzen kam aus den Tiefen des zahnbewehrten Rachens.
Eine Hand schoß vor, wollte sich um Zamorras Körper krallen. Schon glaubte Nicole, es sei endgültig um ihn geschehen, sah in einer grauenhaften Vision bereits seinen Körper zerfetzen, sah das Blut hervorströmen…
Doch da fuhr Ghoon irritiert herum.
Ein wilder Kampfschrei erscholl.
Nicoles Kopf flog herum. Ihre Augen fraßen sich an der Szene fest, die so unglaubwürdig erschien.
Dr. Artner griff an!
Er war der erste, der sich aus der Starre des namenlosen Entsetzens riß. Und er tat es in einer Weise, die ihm niemand zugetraut hätte. Der körperlich kleine, blonde Dozent mit dem schütteren Haar ging blitzartig in Karatestellung. Nur undeutlich erkannte Nicole die Grundhaltung. Karate war ihr geläufig, sie hatte selbst einmal ein paar Monate lang trainiert. Doch so rasch und beherrscht, wie Artner handelte, vermochte sie sich längst nicht zu bewegen. Der Dozent machte dies bestimmt nicht zum
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