012 - Der Schatten des Vampirs
berührte.
Es durchzuckte ihn. Niemals in seinem Leben hatte er solche Töne gehört. Es war doch seine eigene Gitarre, auf der er abends oft gespielt hatte, wenn die Sonne hinter den Heveas unterging. Wie oft hatte er für Conchita gespielt, bevor dieser verdammte Santiago aufgetaucht war.
La Bruja spielte eine eigentümliche Weise. Der Qualm, die unbekannte Melodie, die ganze mystische Atmosphäre versenkten den Seringueiro in eine tiefe Betäubung. Er versuchte zwar aufzustehen, merkte aber, dass er nicht dazu imstande war. Die Dinge entglitten zunehmend seinem Bewusstsein. Plötzlich entrang sich seiner Kehle ein heiserer Schrei. Eine Vision entstand vor seinen Augen, durchdrang die Dunkelheit und war mitten im Raum.
„Conchita, meine Concha!“
Sie war es. Oder doch wenigstens ihr Bild. Er sah ihr liebliches Gesicht, die dunklen Augen, die sonnen gebräunte Haut. Ihre Haare waren sorgfältig gekämmt und mit einem billigen Kamm hochgesteckt, an dem bunte Glassteine glitzerten. Ihr Mund war halb geöffnet, als sehne er sich nach einem Kuss.
„Concha“, stöhnte Felipe.
Aber die Erscheinung war schon wieder verschwunden. La Bruja spielte immer noch, ohne von Felipe Notiz zu nehmen.
„Denk nur, denk, streng dich an“, sagte sie.
Die Aufforderung war überflüssig. Auf einmal fühlte er sich leicht und frei. Sein vom langen Ritt zerschlagener Körper, den das Fieber verzehrte, war wie aufgelöst. Er dachte nur noch an Concha und lebte mit ihr in einer Art blauen Wolke, wo es keine Probleme gab, weil alles so einfach war.
Aber nun sah er sich selbst, so flüchtig, wie er das Gesicht der jungen Frau gesehen hatte. Er sah sich an ihrer Seite, und ihr hübsches Köpfchen lag an seiner Schulter. Doch auch dieser Widerschein des Glücks verschwand so schnell wie er erschienen war. Die Vision löste sich in nichts auf wie die erste.
Ein tiefer Seufzer entrang sich seiner Brust. Aber er konnte sich seiner Trauer nicht hingeben, denn schon wieder erschien ein Trugbild in dem dunstigen Raum. Diesmal gelang es Felipe, seine Betäubung zu bekämpfen. Trotz der angenehmen Gefühle, die die Hexe in ihm erregt hatte, stieg ihm das Blut zu Kopf – vor Wut, vor Hass, vor Verzweiflung.
Vor sich, ganz nahe, sah er die Gesichter von Concha und Santiago. Ihre Lippen berührten sich, ihre Augen glänzten glücklich, sie schienen die Welt um sich vergessen zu haben.
Felipe erstickte fast, als er das Bild betrachtete. Die Alte, immer noch fast unbeweglich, strich die Saiten der Gitarre und entlockte ihr immer neue Variationen der Zaubermelodie. Selbst die Schlange schien von der Musik entzückt zu sein und wiegte ihren Kopf vor den Schultern der Bruja, diesen widerwärtigen Kopf mit den kleinen gelben Augen, in denen manchmal bösartige Reflexe aufblitzten.
Auch diese Vision verschwand wieder, das heißt, stattdessen erschienen die Oberkörper der beiden Liebenden. Sie waren nackt. Man hätte glauben können, der Dunstvorhang der Hütte sei plötzlich zerrissen, so plastisch standen die Leiber vor Felipes Augen.
„Nein, das will ich nicht sehen. Hör auf, Bruja!“
Felipe begann aus seinem Traum zu erwachen und versuchte sich aus der Verhexung zu befreien. Er schrie seine Qual hinaus, die Pein seines wunden Herzens und seines betrogenen Leibes, schrie, bis ihm der Atem ausging und das Bild des Liebespaares endlich verschwand.
Nun war der Zauber aufgelöst. Da stand er, Felipe, der raue, tapfere Kerl, Gesicht und Hände von den Moskitos übel zerstochen und erschöpft von den Strapazen und dem Fieber, das in seinem Körper tobte.
Die Hexe hob langsam ihr abgezehrtes Gesicht. Hinter den grauen Zotteln begegnete er ihrem Blick.
„Na, bist du immer noch entschlossen?“ fragte sie.
„Ja“, stöhnte er. „Mehr denn je. Ich will das Paar auseinander bringen und sie wieder haben. Ich will, dass sie mich wieder liebt. Conchita soll mich lieben, meine Conchita, die dieser Schurke verführt hat. Bruja, gib mir ihre Liebe zurück!“
Die Alte erhob sich. Die Schlange fühlte sich gestört, fuhr wild durch die Hütte und klapperte unbändig. Mit ihren Klauen fuchtelte ihm die Bruja vor dem Gesicht herum, als wollte sie es zerkratzen. Schrill krächzte sie: „Liebe! Die Geister können sie dir nicht geben. Sie kommt vom Himmel. Und die Höllischen können sie den Irdischen nicht zuteilen. Dass Concha sich deinen Wünschen fügt, das kannst du haben. Sie wird dir mit ihrem Körper zu Willen sein. Wenn du damit zufrieden
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