012 - Der Schatten des Vampirs
würde passieren.
Aber Tag und Nacht klangen Zaubertöne in seinem Kopf. Die vermaledeite Musik ließ ihn keinen Augenblick los. Er schien, als hätte sich die teuflische Melodie in seinem Hirn eingegraben.
Vergessen. Vergessen! Aber wie? Er hatte nicht gelogen, als er der alten Indianerin versprochen hatte, das Lied bis an sein Lebensende zu behalten. Immer würde er sich die Griffe auf der Gitarre merken müssen.
Heute Abend hatte er es riskiert, in die Posada zu gehen. Und er hatte Concha gesehen, wie sie tanzte. Aber er hatte auch den stolzen Santiago gesehen, seine Besitzermiene und seine zärtlichen Blicke.
Das war das Signal gewesen. Er konnte nicht mehr zurück, er hatte einen Pakt geschlossen. Zwar widerstrebte es ihm noch, aber tief innen wusste er schon, dass er seine Tat ausführen würde. Nur einmal noch wollte er Conchas sinnlichen Leib besitzen, ihre Zärtlichkeit und ihre Wärme spüren.
Sie liebte ihn nicht mehr, sie hatte ihn überhaupt nie geliebt, das wusste er jetzt. Aber das war ihm jetzt gleichgültig. Nur seine alles verzehrende Leidenschaft zählte noch.
Langsam ging er nach Hause und wartete, dass die Nacht verginge. Er saß rauchend im Dunkeln. Manchmal blickte er hinüber zu seiner Gitarre, die an der Wand lehnte. Trotz der Dunkelheit wagte er nicht, sie direkt anzuschauen, denn er wusste, dass sie das Werkzeug war, das sie alle drei ins Unglück stürzen würde.
Gegen drei Uhr früh erhob er sich. Eine fremde Macht trieb ihn. War das überhaupt noch, die sinnliche Begierde nach Conchas heißem Körper? Oder wurden nur die höllischen Mächte der Bruja entfesselt?
Die Gitarre am Band, schlich er zwischen den Hütten hindurch, die das Dorf der Kautschukarbeiter bildeten.
Ein Hund heulte, vielleicht hatte er eine Tigerkatze gewittert. Sonst blieb alles ruhig. Schon lange waren die Seringueiros schlafen gegangen.
Felipe steuerte auf die Posada zu, wo Santiago als „Mamas“ Pensionsgast wohnte. Und Concha schlief bei ihm. Felipe wusste, wo das Zimmer lag, im Erdgeschoß, gegenüber dem Lokal. Es ging auf einen kleinen Garten, wo die „Mama“ das Wunder vollbracht hatte, ein paar Blumen zu ziehen, Orchideen und
Osterluzei. Es war das freundlichste Fleckchen in dem ganzen trostlosen Dorf.
Felipe näherte sich langsam dem baufälligen Haus. Er sah schon von weitem das schwarze Rechteck des Schlafzimmerfensters. Dort schlief das Paar. Der Schweiß trat ihm auf die Stirn, und sein Herz klopfte wild. Er wollte stehen bleiben, sich an die hämmernde Brust fassen, aber irgendetwas trieb ihn weiter.
Der höllische Rhythmus klopfte in seinem Blut den Takt einer Melodie. Es war die Melodie, die er nie mehr vergessen konnte, die die Bruja ihn gelehrt hatte.
Ein Mondstrahl kam heraus und verschwand wieder, solange Felipe stand und wartete. Er wagte sich nicht näher. Die Vorstellung, wie Concha in den Armen des Nebenbuhlers lag, ließ ihn tausend Tode sterben. Ohne Unterlass bohrte der Gedanke in seinem Gehirn: dass er seine Tat vollbringen müsse.
Er redete sich gut zu:
„Es ist ja nur eine Kleinigkeit. Ich werde eine Serenade spielen, sie wird mich hören und kommen. Ist das so schlimm?“
So wollte er sein Gewissen beschwichtigen. Dabei pochte sein Puls immer im gleichen Rhythmus, immer im Rhythmus des Zauberliedes.
Es wurde Tag, und die Frische des Morgens kroch ihm an den Beinen hoch. Er sagte sich, dass er nun handeln müsse. Wenn er noch eine Stunde wartete, war es zu spät. Dann würde das Dorf schon langsam erwachen.
Es wurde schon ein wenig hell. Da entschloss sich Felipe.
Als er sich dem Fenster näherte, fiel etwas vor ihm zu Boden. Er sah näher hin. Es war ein Leguan, der sich in das Dorf verirrt hatte. Das aufgeschreckte Tier wollte fliehen, aber die Hauswand hinderte es daran. Felipe konnte genau die Schnauze erkennen und die kleinen starren Augen, die ihn unverwandt anblickten. Wie er so Auge in Auge mit der großen Echse dastand, packte ihn plötzlich eine unerklärliche Wut. Er hob den Fuß mit dem Lederstiefel und wollte es tot trampeln.
Mit letzter Kraft bäumte sich das Tier auf, und aus seinen Augen traten blutige Tränen.
Felipe wich entsetzt zurück und flüsterte atemlos: „Das Tier mit den blutigen Augen!“
Es war ein Phrynosomas, der die Fähigkeit besaß, das Blut in seine Augen zu pressen, aus Wut oder Angst. Felipe bekreuzigte sich. Das war ein schlechtes Vorzeichen. Der Leguan nützte die Gelegenheit und schlüpfte davon.
Einen Moment fragte
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