012 - Der Schatten des Vampirs
einen Alptraum gehabt, aus dem er gegen Morgen bleischwer und schweißgebadet erwacht war. Und allein.
Noch einmal kehrte seine Wut zurück, und zwar deshalb, weil er sich Concha in den Armen ihres früheren Liebhabers vorstellte. Er schlug wieder zu. Da begriff sie, dass sie ihn nicht hatte überzeugen können. Er würde keine Ruhe geben, das war klar. Und er würde Felipe zum Duell herausfordern, um ihn zu töten.
Am Ende ihrer Kräfte schrie sie verzweifelt: „Also gut, machen wir Schluss. Gib deine Navaja her, wenn du selbst zu feige bist, um sie mir in die Brust zu stoßen!“
Das war unüberlegt gewesen.
Santiago riss das lange Messer aus der Tasche. Jetzt erschien ihm dies auch als der einzige Ausweg.
Er ging auf Concha los, die ihre Worte inzwischen schon bereute.
Sie wollte fliehen, sich vor der Bedrohung in Sicherheit bringen, aber er brüllte: „Bleib, du Luder!“
Da erschien eine Silhouette an der Tür. Santiago und Concha drehten gleichzeitig den Kopf. Es war die „Mama“.
„Gott sei Dank ist es Tag und alles schon bei der Arbeit. Wollt ihr nicht endlich mit dem Krach aufhören! Was hast du denn vor, du Idiot. Willst du ihr was antun? Arme Kleine!“ sagte die Wirtin und ging auf Concha zu. „Wieso streitet ihr denn überhaupt? Seid ihr verrückt geworden?“
Santiago steckte die Navaja weg und sagte giftig: „Frag sie doch mal, wo sie herkommt. Dann haust du ihr bestimmt auch eine runter.“
Concha wiederholte ihr Geständnis, obwohl Santiago sie ständig durch Flüche und Zwischenrufe unterbrach. Er hätte sie auch wieder geschlagen, wenn die „Mama“ nicht dazwischengetreten wäre. Vor ihr hatte er, wie alle Seringueiros, größten Respekt. Außerdem wusste er genau, dass sie ihn mochte und seine Romanze mit Concha bis dahin mit freundlichen Augen gebilligt hatte.
Sie hörte aufmerksam zu, soweit sie ihn nicht immer wieder zurückhalten musste. Nachdem Concha geendet hatte, sah die „Mama“ beide nacheinander an.
„Es muss wirklich etwas Besonderes in dieser Nacht gewesen sein. Ich glaube, ich habe eine Gitarre gehört. Ich muss mal die anderen fragen. Habt ihr keine Musik gehört?“
Santiago besann sich. Er strich sich mit der Hand über die Stirn und dachte nach. Aber er fand keine andere Erinnerung als die an den Alptraum. Vielleicht wenn er weiter grübelte?
Was Concha betraf, so ging ihr plötzlich ein Licht auf: „Ja, Mama, ja“, rief sie, und ihr Gesicht erhellte sich. „Ich glaube, ich erinnere mich jetzt. Da war eine Melodie, ich habe nie vorher so etwas gehört. Es muss ein Teufel gewesen sein, der gespielt hat. Und das war ausgerechnet in dem Moment, als ich herauskam. Ich ging auf die Musik zu, sie zog mich magisch an, ich wollte …“
Concha konnte nicht ohne Anstrengung weiter sprechen. Sie schien wie hypnotisiert von dieser Erinnerung.
Santiago beobachtete sie sorgenvoll, und auch die „Mama“ ließ sie nicht aus den Augen.
„Ich sah, wie die Blumen geboren wurden … Lichter sah ich in Farben wie noch nie … Ich ging dahin, ich weiß nicht … und dann …“
Sie schlug beide Hände vor das Gesicht.
„Sprich doch weiter!“ schrie Santiago.
Jedoch die „Mama“ brachte ihn mit einer Geste zum Schweigen. Sie nahm Concha in die Arme.
„Du musst reden“, sagte sie. „Sag uns nur, was du erlebt hast.“
Concha weinte leise vor sich hin. Dann gestand sie, dass eine sinnliche Begierde sie mit aller Macht ergriffen hatte. Diesem Verlangen hatte sie nachgegeben, und es hatte sie in einen beglückenden Traum versetzt.
Rot vor Verwirrung und mit fast klagender Stimme erzählte sie zu Ende.
Concha glaubte, Santiagos Blick nicht mehr aushalten zu können, denn plötzlich hatte sie wieder an ihren früheren Liebhaber gedacht und nicht an Santiago. Es war ihr eine bestimmte Situation wieder eingefallen, und obwohl sie mit allen Kräften dagegen anging, blieb die Erinnerung haften. Es war verrückt – Felipes wegen war sie geflohen, und er war dennoch gegenwärtig. Heute früh war der Zauber erst nach der leidenschaftlichen Vereinigung von ihr gewichen, als sie halbtot vor Ekel, dass sie nachgegeben und Santiago betrogen hatte, zu sich kam.
Santiago brüllte schon wieder: „Du siehst doch, dass ich sie töten muss, Mama! Und ihm gehe ich auch an den Kragen, das schwöre ich dir!“
Die robuste Frau pflanzte sich vor ihm auf.
„Hör zu, Santiago. Es ist nun mal so, dass im Urwald Sachen passieren, die Leute aus dem Flachland wie du nicht
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