012 - Die Sekte des Lichts
Dom beobachtete sie schweigend. Josef stellte sich neben ihn.
Nur diese drei Männer waren in seinen Plan eingeweiht. Natürlich hatte Josef versucht, den Domprobst und den Erzbischof von Bonn für seine Vision zu gewinnen. Sogar beim Heiligen Vater in Rom hatte er vorgesprochen. Alle drei hatten ihm freundlich, der Erzbischof sogar interessiert zugehört. Um dann wortreiche Ausflüge in die katholische Morallehre zu unternehmen. Gott allein habe das Recht, Leben zu nehmen und zu schaffen, jegliche Manipulation an menschlichem Erbgut sei als Sünde einzuordnen, die Knochen von Heiligen gehörten zum anbetungswürdigen Schatz der Kirche, und so weiter, und so weiter.
Gleichzeitig ließen sie durchblicken, dass sie Josefs Plan im Hinblick auf die Neubelebung des christlichen Glaubens, der bei den Religionskriegen vor fünf Jahren ernsthaften Schaden genommen hatte, durchaus für lobenswert hielten.
Josef hatte begriffen. Wenn die Sache schief ging, reichte es, wenn einer den Kopf hinhielt. Wenn sie erfolgreich war, würden Domprobst, Erzbischof und Papst so nett sein, ihm die Last der Lorbeeren abzunehmen.
Die jungen Patres - sie waren wissenschaftliche Assistenten des Mannes neben Josef - schraubten die Glasfront der Vitrine los und hoben sie vorsichtig ab. Mit gefalteten Händen stand der Kardinal da. Sie waren feucht, seine Hände, und sein Atem flog.
Er warf einen Blick auf den Mann neben sich. Dessen blasses Gesicht verriet keinerlei Gefühlsregung. Etwas Rätselhaftes ging von ihm aus. Josef hatte das Gefühl, dass hinter der hohen Stirn mehr geschah, als er ahnte.
Zufällig kannte Josef das genaue Alter des Mannes - er war exakt vierunddreißig Jahre jünger als der Kardinal selbst, nämlich dreiundvierzig.
Merkwürdigerweise hatte der Vatikan ihm ein paar Wochen nach der Audienz einen gewaltigen Geldbetrag überwiesen. Offiziell waren die Gelder für ein Forschungsprojekt von Misereor bestimmt, für das er verantwortlich war. Ein Projekt, in dem es um die Entwicklung einer ertragreichen Reissorte ging, die man in Asien anbauen wollte. Doch die Bestimmung des Geldes war so schwammig formuliert, dass Josef es ohne Weiteres in sein eigenes Projekt fließen lassen konnte. Die Summe, so hieß es im Anschreiben des Heiligen Vaters, diene zur Entwicklung von Methoden, die geeignet seien, das Elend in der Welt zu bekämpfen.
Ob mit »Elend« der Unglaube oder der Hunger gemeint war, blieb offen. Reine Interpretationssache. Der Kardinal hatte die Formulierung zu seinen Gunsten ausgelegt. Und den Mann, der neben ihm vor dem Dreikönigsschrein stand, für sein Projekt gewonnen.
Er hieß Marc Vittoris. Ein Jesuit. »Pater Markus« nannten ihn seine deutschen Ordensbrüder. Nicht besonders groß und auffallend schmächtig, wirkte er eher unauffällig. Sein blasses nichtssagendes Gesicht und sein schütteres Haar verstärkten den Eindruck noch. Aber unter seiner Schädeldecke arbeitete ein Hirn, das zu den leistungsfähigsten der internationalen Forschergemeinschaft zählte. Vittoris lehrte und forschte an der University of Berkeley, Kalifornien. Molekularbiologie und Gentechnik waren seine Spezialgebiete. Aber auch als Bioinformatiker hatte er in letzter Zeit von sich reden gemacht. Es war nicht einfach gewesen, den Jesuiten aus Kalifornien wegzulocken. Mit Geld konnte man Patres nicht reizen. Die Aussicht aber, ausgestattet mit genügend Geldern am Klonen von Menschen zu arbeiten, hatte schließlich den Ausschlag gegeben. Der Kardinal hatte Vittoris ein Labor in Bad Godesberg einrichten lassen.
Die Mönche hatten nun eine zweite Glasplatte aus der Vitrine gelöst. Vittoris und Josef traten neben sie. Gemeinsam zogen sie den goldenen Dreikönigsschrein an die Kante der Vitrine. Schwer und sperrig war das Goldschmiede-Kunstwerk. Die Dominikaner schoben den hydraulischen Rolltisch an den offenen Glaskasten und brachten ihn auf gleiche Höhe mit ihm.
Mit vereinten Kräften zerrten sie den Schrein auf den Tisch. Ein Knopfdruck, und der Tisch senkte sich ab. Josef ließ es sich nicht nehmen, den hausartig gestalteten Schreindeckel persönlich abzuheben. Die Mönche schoben ihn in die Vitrine zurück.
Ehrfürchtig starrten der Kardinal und die Mönche in den Schrein. Sie bekreuzigten sich. Da lagen sie - die Gebeine der Heiligen Drei Könige. Bleiche Knochen in dunkles Samt gebettet. Die wenigen sterblichen Überreste der ersten Menschen, die nach den Hirten von Bethlehem das Jesuskind angebetet hatten. Kardinal Josef
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