012 - Die Sekte des Lichts
schnalzte vor Andacht mit der Zunge. Wieder und wieder bekreuzigten er und die Dominikaner sich.
Der Jesuit wirkte erstaunlich unbeeindruckt. Vittoris ging zum Hochaltar, wo er einen großen Aluminiumkoffer abgelegt hatte. Er öffnete ihn und holte ein Paar Latexhandschuhe heraus. Ohne Hast streifte er sie über, während er zurück zum Schrein kam. Seine Schritte hallten durch die Kathedrale.
Der Wissenschaftler beugte sich über den Behälter und griff hinein. Einen Knochen nach dem anderen nahm er hoch, hielt ihn ins grelle Scheinwerferlicht und betrachtete ihn sorgfältig. Keine Spur von Andacht auf seiner Miene. Er war neugierig, weiter nichts.
»Ein Femur«, sagte er trocken. Josef runzelte fragend die Stirn. »Ein Oberschenkelknochen«, erklärte der Wissenschaftler. Er legte ihn zurück in den Schrein und untersuchte die anderen Gebeine.
»Das dürfte eine Elle sein, das hier ein Brustbein, und was haben wir da?« Er hob ein Stück eines Hüftknochens hoch. »Wunderbar! Das eignet sich hervorragend für unsere Zwecke.«
Er schien mit sich selbst zu reden. In Gedanken sondierte er längst, welches Knochenmaterial sich am ehesten als Zellspender eignete. Der Kardinal sah ihm den Mangel an Ergriffenheit nach. Der Jesuit war Wissenschaftler durch und durch. Und Josef brauchte einen Vollblut-Wissenschaftler. Wahrscheinlich würde auch Vittoris die wahre Dimension des bevorstehenden Projektes erst begreifen, wenn die Heiligen Drei Könige dereinst von Großstadt zu Großstadt über den Globus zogen, um der verlorenen Welt das Evangelium zu predigen.
Stück für Stück verstaute Vittoris die Gebeine in Zellophantüten. Danach hüllte er sie in mit einem Gel gefüllte Tücher. Derart gepolstert, wanderte ein Knochen nach dem anderen in seinen Alukoffer.
Die beiden jungen Dominikaner - sie studierten in Bonn Medizin und Molekularbiologie - stellten den Schrein nicht leer zurück in die Vitrine. In der Pathologie der medizinischen Fakultät von Bonn hatten sie sich menschliche Skelett-Teile besorgt. Damit füllten sie den Schrein.
Später fuhren sie in einem Volvo-Kombi über die A 555 nach Bonn. Die Jugendstilvilla in Bad Godesberg, in der Kardinal Josefs Vision Wirklichkeit werden sollte, gehörte der Erzdiözese. Der Bischof persönlich hatte sie Josef zur Verfügung gestellt.
»Wann beginnst du mit der Arbeit, Bruder Markus?«
Sie saßen im Fond des Volvos, zwischen ihnen der Aluminiumkoffer mit den Reliquien.
Josefs Linke lag auf ihm.
»Gleich morgen.« Vittoris sprach mit leicht amerikanischem Akzent. Er hatte jahrelang in den USA gelebt und gearbeitet. »Ich habe mich gestern an meinem neuen Arbeitsplatz umgesehen. Er ist hervorragend ausgestattet.«
»Du sollst alles haben, was du brauchst.«
»Ein paar Sachen fehlen noch - sehr teure Sachen.«
»Sag es - ich besorge die Dinge. Geld spielt keine Rolle.« Der Kardinal war bereit, auch sein persönliches Vermögen in das Projekt zu investieren.
»Das Notstromaggregat ist veraltet«, begann Vittoris. »In der ersten Phase kann ich damit noch arbeiten, aber spätestens Anfang des nächsten Jahres sollte das Labor von der öffentlichen Stromversorgung vollkommen unabhängig sein. Eine Solaranlage wäre mir persönlich am liebsten.«
Josef nickte. Selbst ihm als Laien leuchtete ein, dass die Stromversorgung eines Labors kein Risikofaktor sein durfte.
»Dann benötige ich ziemlich kurzfristig einen Quantencomputer der neuesten Generation.«
Wieder nickte Josef. Er hatte keine Ahnung, was ein Quantencomputer war. Sein Herz pochte, er glühte vor Erregung. Die göttliche Vision seines dreizehnten Fastentages sollte Wirklichkeit werden -er konnte es kaum fassen. Wenn ein unbegreifliches Ding namens
»Quantencomputer« dazu nötig war, musste es eben beschafft werden.
»Außerdem habe ich mir erlaubt, ein Rastersonden-Elektronenmikroskop in den Staaten zu bestellen. Übermorgen wird es eintreffen. Ich wäre dir dankbar, wenn du jemanden zum Flughafen schicken könntest.«
»Kein Problem, Bruder Markus«, sagte Josef eifrig. »Und wie wirst du vorgehen? Was wird dein erster Schritt sein?«
»Zunächst werde ich einzelne Zellen aus dem Knochenmaterial gewinnen. Die Zellkerne müssen untersucht werden. Dazu brauche ich das Mikroskop. Nur aus Zellen mit unbeschädigter DNS können wir diese Individuen klonen.« Er schlug mit der flachen Hand auf den Aluminiumkoffer.
Josef erschrak. »Individuen! Ich bitte dich, Bruder Markus! Wir sprechen von den
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