012 - Die Sekte des Lichts
gehen«, sagte Jannes heiser. »Vergiss nicht - wenn du versagst, sind wir des Todes.« Aruula trat auf den Platz. »Wanken«, zischte der Alte ihr nach.
»Wanken - du bist voll mit Coelsch, denk dran…«
Aruula torkelte auf den Schwarzen Dom zu. Ihr war übel vor Aufregung. Die Kuttenträger blickten ihr schweigend entgegen. DU bist voll von Coelsch…du musst wanken und lallen und Unsinn reden…
Vor dem Thron des Kaadinarls blieb sie stehen. Sie bemühte sich zu schwanken, während sie die geballte Rechte gegen ihre Brust schlug. »Heil dem Kaadinarl!«, platzte sie heraus. »Heil un Frieden unsem Joosev dem Siebzenen…«
Sie konnte die Gesichter der Kuttenträger nicht erkennen. Die Fackeln brannten hinter ihnen. Sie waren in das zerklüftete Gemäuer rechts und links des Portals gesteckt. Die Türen aller drei Eingänge standen weit offen. Wie ein Fieberschauer überfiel sie das Wispern fremder Stimmen. Aruulas Geist sperrte sich dagegen, aber die Stimmen waren stark. Gier und Verlangen spürte sie, Sehnsucht und Schmerz.
»Tritt ans offene Portal, Frau«, sagte der Kaadinarl. Aruula stieg die Stufen der Vortreppe hinauf und wankte um die Reihe der Sitze herum. Vor dem mittleren Portal blieb sie stehen.
»Geh ruhig ein wenig näher.«
Aruula machte ein paar unsichere Schritte auf den Eingang zu. Es roch modrig und säuerlich. Kälte strömte ihr entgegen. Und die unhörbaren Stimmen. Ihr Drängen ließ sie frösteln. Sie starrte in die Dunkelheit und fühlte sich beobachtet. Von hinten und aus dem Inneren des Schwarzen Domes.
Lange geschah gar nichts. Dann plötzlich klang dumpfes Gelächter auf. Es hallte aus dem Dom. Aruula zuckte zusammen. Irgendwo da drin mussten sie sein, die Lacher. Nur wenige Schritte von ihr entfernt.
»Ich habe zwei gute Nachrichten für dich.«
Wie aus dem Nichts tauchte der Kaadinarl neben ihr auf. Aruula zuckte zusammen und verkrampfte sich. »Du wirst deinen Gefährten wiedersehen.« Der Kaadinarl legte den Arm um sie. Jetzt konnte sie sein verhärmtes Greisengesicht erkennen. Die zahllosen Falten. Die dünnen lederartigen Lippen.
»Dassis fein«, lallte sie. »Wirklich fein…un die zweide Nachicht?«
»Die Heiligen Drei haben dich auserwählt…«
***
Das Fieber sank nur langsam, aber es sank. Matt kam allmählich wieder zu Kräften. Sie fütterten ihn mit Fleisch und Früchten und kümmerten sich um ihn wie um einen Freund.
Rulfan, ihr Anführer, und Honnes, seine rechte Hand, führten ihn am zweiten fieberfreien Tag aus dem höhlenartigen Raum, in dem sie ihn gepflegt und verarztet hatten. Der Raum hatte mehrere große Fenster. Die Streiter, wie sie sich nannten, hatten Verpflegung und Jagdbeute durch die Fenster in den Raum geschafft. Xaala und andere Fische, Lischetten und wilde Schweine, die sie auch in dieser Gegend »Wisaaun« nannten. Wenn er versucht hatte, zu dem Fenster hinauszusehen, hatte er nur auf dichten Urwald geblickt. Matt konnte sich die ganze Zeit über kein Bild von dem Gebäude machen, in dem ihr Unterschlupf lag.
Auch jetzt nicht, als er hinter Rulfan und Honnes her an moosbedeckten feuchten Wänden vorbei durch Gänge und über Treppenaufgänge lief. Die Stufen der Treppen waren aus grob bearbeiteten Holzbrettern. Auch an der uralten, teilweise zerbröselnden Bausubstanz entdeckte Matt unzählige mit Holz ausgebesserte Stellen.
Sie erreichten eine Türöffnung, die in einen vertikalen Schacht führte. Honnes beugte sich hinein. Er klatschte ein paar Mal in die Hände.
Matt hatte nicht viel Ahnung von Musik, aber es kam ihm vor, als würde der dürre Kahlkopf mit den negroiden Lippen und dem zerknautschten Gesicht einen Dreivierteltakt klatschen.
Jedenfalls quietschte es plötzlich über ihnen, und kurz darauf näherte sich ein Scharren von oben. Eine mit einer Lattenbrüstung eingefriedete Plattform erschien im Schacht. Sie bestiegen sie und wurden hinauf gezogen. Matt hätte wetten können, dass er sich in einem ehemaligen Aufzugsschacht befand.
»Was ist das für ein Gebäude?«, wollte er wissen.
»Unser Hauptquartier«, sagte Rulfan. »Wir haben mehrere kleine Stützpunkte entlang des Großen Flusses und eine vorgeschobene Basis in der Nähe der Brücke, die T-Feste. Hierher ziehen wir uns zurück, um unsere Vorräte aufzustocken, Verwundete zu pflegen und die nächsten Angriffe vorzubereiten.«
Als er den Aufzugsschacht verließ, hatte Matt den Eindruck, einen Wald zu betreten. Aber das täuschte - allerdings waren Gänge und
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