012 - Die weiße Wölfin
Fenster und riß den Vorhang zur Seite. Chapman hatte sich inzwischen durch den schmalen Spalt gequetscht. Vom Fenstersims aus lief er zur Feuerleiter. Hunter öffnete das Fenster und lehnte sich hinaus. Mit fahrigen Bewegungen strich er über das Fensterbrett.
»Wo bist du?« schrie er. »Wo bist du, du Monster?«
Er stierte auf die Straße und sah nicht, daß sich Chapman an der Feuerleiter festgekrallt hatte und gerade zu Boden glitt. Langsam torkelte er zurück und fiel aufs Bett.
Ich richtete mich auf und blickte mich im Zimmer um.
»Don?«
Keine Antwort. Verdammt noch mal , dachte ich, der Puppenmann muß sich doch irgendwo hier befinden! Ich stand auf, und feurige Kreise drehten sich vor meinen Augen.
Ich hatte in einem Restaurant ein Steak gegessen und war mit einem Taxi in die Nähe der Pension gefahren. Ich konnte mich noch erinnern, daß ich die Pension betreten hatte, dann war alles schwarz vor meinen Augen geworden, und ich war als nächstes in meinem Zimmer erwacht.
»Don?« rief ich nochmals, doch es kam keine Antwort.
Ich stand auf und durchsuchte das Zimmer. Von Chapman keine Spur. Ich trat ans Fenster und sah auf die Straße. Vielleicht war er ungeduldig geworden. Oder er hatte vermutet, daß ich von der Polizei erwischt worden war.
Ich steckte mir eine Zigarette an und setzte mich aufs Bett. Wieder einmal hatte ich eine Gedächtnislücke. Kopfschüttelnd drückte ich die Zigarette aus und blickte auf die Uhr. Es war kurz vor elf. Nach Mitternacht hatte ich mit Coco eine Verabredung. Hoffentlich würde sie kommen.
Ich löschte das Licht und legte mich aufs Bett. Was sollte ich weiter unternehmen? Nein, ich hielt es nicht mehr länger im Zimmer aus. Ich stand auf und verließ die Pension wieder. Mehr als zwanzig Minuten schlenderte ich ziellos durch die verlassenen Straßen, dann ging ich in Richtung Queen's Wood.
Coco Zamis legte den Hörer auf. Ihr schönes Gesicht war eine unbewegte Maske. Der O. I. saß neben ihr.
»Was hat Hunter von Ihnen gewollt, Miß Zamis?« fragte er.
Sie hob die Schultern. »Keine Ahnung«, sagte sie abweisend. »Er sagte nur, daß er an den Morden und am Tode meiner Familie unschuldig sei. Und dann sagte er noch etwas, das für mich aber keinen Sinn ergibt.« Sie wiederholte Dorians Code, den jeder Uneingeweihte für unsinniges Gerede halten mußte.
Der O. I. blickte Coco mißtrauisch an. »Zumindest für mich ergibt es keinen Sinn«, sagte er langsam, »aber vielleicht für Sie?«
Coco schüttelte den Kopf. »Es wird wohl stimmen, was Sie mir erzählten. Dorian ist wahnsinnig geworden.«
»Wir konnten nicht feststellen, woher der Anruf gekommen ist«, sagte Cohen.
»Sicherlich wird sich Hunter später noch mal melden«, sagte der O. I.
Coco wußte natürlich genau, was Dorians Anruf zu bedeuten hatte. Er erwartete sie nach Mitternacht im Queen's Wood. Doch sie war nicht sicher, ob sie hingehen sollte. Der O. I. war vor wenigen Minuten zusammen mit Cohen und Powell in der Jugendstilvilla in der Baring Road aufgekreuzt und hatte ihr von Hunters angeblicher Greueltat und seiner Flucht berichtet.
»Verheimlichen Sie mir vielleicht etwas, Miß Zamis?« fragte der O. I.
»Nein.«
»Ich glaube, daß Sie mich belügen«, sagte der O. I. hart.
Coco schüttelte entschieden den Kopf.
»Es hat keinen Sinn, daß Sie mir etwas verheimlichen wollen, Miß Zamis.« Er beugte sich vor und blickte Coco eindringlich an. »Ich vermute, daß die wenigen Sätze, die Hunter zu Ihnen sagte, eine besondere Bedeutung haben – daß sie ein Code sind, den nur Sie und er verstehen.«
»Da täuschen Sie sich. Ich habe keine Ahnung, was Dorian mir sagen wollte. Es stimmt, daß wir für Notfälle einen Code ausgemacht haben, aber dieses Gerede ergibt keinen Sinn für mich.«
Der O. I. blickte das Mädchen einige Zeit schweigend an.
»Sie glauben nicht, daß Hunter schuldig ist?« fragte er, als die Stille fast unerträglich geworden war.
»Ich weiß es nicht«, sagte Coco leise. Sie griff nach den Zigaretten und steckte sich eine an. Ihre Finger waren ruhig. Sie inhalierte den Rauch tief.
»Und Sie glauben auch nicht, daß Hunter etwas mit dem Tod Ihrer Familie in Wien zu tun hat?«
»Sie stellen mir Fragen, auf die ich keine Antwort geben kann«, sagte Coco. »Dazu müßte ich mit Dorian sprechen. Ich bin nur auf Ihren Bericht angewiesen, und von den Vorfällen in Wien weiß ich fast gar nichts.«
»Sie lieben Dorian noch immer«, stellte der O. I. sachlich
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