012 - Die weiße Wölfin
nicht im Rückspiegel sehen konnte. In der Park Hall Road kannte ich eine verschwiegene Pension. Die Besitzerin war eine alte Frau, die nicht viele Fragen stellte; außerdem war sie stark kurzsichtig und trug nie eine Brille. Dort würde ich Unterschlupf finden.
Das Taxi quälte sich durch den starken Abendverkehr, und ich hing meinen trüben Gedanken nach. Ich mußte untertauchen, aber allein hatte ich nicht viel Chancen. Deshalb mußte ich mich mit Coco in Verbindung setzen. Sicherlich hatte der O. I. bereits angeordnet, daß das Telefon überwacht wurde, aber ich hatte vor langer Zeit mit Coco alle möglichen Pannen durchgesprochen und ihr einige Kennwörter gesagt, die für einen Außenstehenden bedeutungslos waren, Coco aber sehr viel sagten.
Nach zwanzig Minuten hielt der Fahrer an. Ich zahlte und stieg aus. Fünf Minuten später stand ich vor der einfachen Pension in der Park Hall Road. Es war ein schmales, dreistöckiges Haus, das ebenso ungepflegt wirkte wie seine Besitzerin. Ich öffnete die Tür und trat ein. Hinter einem Empfangspult saß Mrs. Mildred Hird, die Besitzerin der Pension. Sie war eine kleine Frau, deren Haar orange gefärbt und zu kleinen Zöpfchen geflochten war. Ihr Gesicht war weiß; es mußte sich mindestens eine ein Zentimeter dicke Make-up-Schicht auf der faltigen Haut befinden.
»Abend«, sagte ich und verstellte meine Stimme. »Haben Sie ein Zimmer frei?«
Sie kniff die Augen zusammen. »Ja«, sagte sie gedehnt.
Ich legte einen Geldschein auf den Tisch, und die Frau griff nach hinten und reichte mir einen Schlüssel.
»Zimmer sieben. Das ist im ersten Stock, den Gang nach rechts.«
Ich nickte ihr zu. Eine Wendeltreppe, die mit einem zerfledderten Kokosläufer bedeckt war, führte in den ersten Stock hinauf. Ich sperrte die Tür auf und trat ins Zimmer. Die Einrichtung war mindestens dreißig Jahre alt: ein einfacher Kasten, zwei wackelige Stühle, ein winziger Tisch, ein Nachtkästchen und ein einfaches Stahlrohrbett.
Ich legte meine Jacke aufs Bett. »Du kannst herauskommen, Don«, sagte ich.
Die Vorhänge waren vorgezogen. Ich setzte mich auf einen Stuhl und sah zu, wie Chapman aus der Jacke kroch.
»Na endlich!« sagte er. »Lange hätte ich es nicht mehr ausgehalten.«
Ich nickte und starrte auf den Fußboden.
»Was nun?« fragte Don.
»Ich werde mich mit Coco in Verbindung setzen.«
»Das Telefon wird sicher überwacht.«
»Das ist mir klar. Aber ich brauche nun mal Cocos Hilfe. Ich werde von einer Telefonzelle aus anrufen, die möglichst weit entfernt ist.«
»Ich weiß nicht, ob du viel Glück bei Coco haben wirst«, meinte Chapman.
Ich sah ihn an. Er saß auf dem Bett und wischte sich mit einem winzigen Tuch den Schweiß von der Stirn.
»Sie glaubt, daß du etwas mit dem Tod ihrer Familie zu tun hast.«
»Ich werde ihr alles erklären.« Ich stand auf und nahm meine Jacke. »Du wartest hier auf mich.«
Ich löschte das Licht, sperrte die Tür zu und verließ die Pension. Ich ging bis zur Southern Baronsmere Road. Nach einigen Minuten kam ein leeres Taxi vorbei. Ich ließ mich zum Alexander Park bringen.
»Wollen Sie in die BBC-Studios?« fragte mich der Fahrer.
»Nein«, sagte ich. »Setzen Sie mich beim Cricket Platz ab!«
Am Ziel angekommen, stieg ich aus, ging in die Newland Road, betrat eine Telefonzelle und wählte die Nummer in der Baring Road. Es läutete dreimal, dann wurde der Hörer abgehoben.
»Ja?« sagte eine weibliche Stimme, die ich unter Tausenden erkannt hätte.
»Coco?«
Ich hörte sie schnauben, doch bevor sie noch etwas sagen konnte, sprach ich weiter. »Ich bin unschuldig an den Morden. Und ich habe auch nichts mit dem Tod deiner Familie zu tun. Du mußt mir glauben.« Ich wußte, mir blieben nur wenige Sekunden, dann würde man feststellen, von wo aus ich anrief. Daher gab ich ihr noch rasch einen versteckten Hinweis, wo wir uns treffen konnten, und legte auf. Der Code war sehr einfach. Für einen Fremden ergaben die Worte keinen Zusammenhang, aber Coco wußte jetzt, daß ich sie um Mitternacht im Queen's Wood erwartete, an einer Stelle, die nur sie und ich kannten.
Ich ging in ein Restaurant in der Newland Road. Es war nur schwach besucht. Ich nahm an einem Tisch in der hintersten Ecke des Saals Platz. Der Kellner brachte die Speisekarte, die ich rasch überflog. Ich entschied mich für ein Steak mit Bratkartoffeln und ein Glas Bier. Zwanzig Minuten später war ich mit dem Essen fertig, zahlte und verließ das Lokal. Ich hielt
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