012 - Die weiße Wölfin
zu schnurren begann. Die junge, schöne Frau koste noch kurze Zeit den grauen Wolf, dann verließ sie den Käfig. Der Wolf blickte ihr nach, als sie gemeinsam mit Jörg Eklund die Stufen hochstieg. Die Wölfe wurden wieder unruhig und rannten aufgeregt im Käfig auf und ab.
Ich wartete, bis Eklund und Jennifer verschwunden waren, dann stieg ich von der Kiste herunter.
»Haben Sie mitgehört, Miß Pickford?« fragte ich.
Sie nickte, und ich erzählte ihr, was ich gesehen hatte. Sie hörte schaudernd zu.
»Wir müssen die Gäste warnen«, sagte ich.
»Das ist klar. Aber wie stellen Sie sich das vor? Jeder weiß, daß Miß Jennings Wölfe hat, doch alle glauben, daß die Tiere zahm sind.«
»Trotzdem«, sagte ich. »Sie mischen sich unter die Gäste und versuchen an ein Telefon heranzukommen. Versuchen Sie den O. I. zu erreichen. Er soll einige Beamte herschicken – per Hubschrauber. Wenn es Ihnen aber nicht gelingen sollte, zu einem Telefon zu kommen, dann fangen Sie in fünfzehn Minuten hysterisch zu schreien an, daß die Wölfe frei seien und schon einen Mann zerrissen hätten.«
»In Ordnung.« Miß Pickford zeigte sich plötzlich von einem ungewohnten Tatendrang erfüllt. »Und was werden Sie unternehmen?«
»Eklund und Jennings waren beide nackt«, sagte ich. »Sie müssen sich ankleiden. Ich werde versuchen, die beiden auszuschalten. Kommen Sie! Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren.«
Ich gab der Kiste einen Stoß und öffnete die Tür. Die Wölfe tobten, als ich am Gitter vorbeiging, doch als Phillip in der Tür erschien, fingen sie kläglich zu winseln an und zogen sich in eine Ecke des Käfigs zurück. Von ihm mußte eine unglaublich starke Ausstrahlung ausgehen, die Wölfen ganz und gar nicht behagte; ich war sicher, daß daran die aus seiner Brust wachsende Blume schuld war.
Rasch stiegen wir die Stufen hoch. Ein breiter Gang lag vor uns. Links führten Stufen ins erste Stockwerk hinauf.
»Gehen Sie zu den Gästen!« sagte ich zu Miß Pickford.
Sie nickte. Ihre Lippen waren dünn wie eine Messerklinge. Ihr Körper straffte sich, und sie trat auf eine der Türen zu. Ich lief inzwischen die Stufen hoch. Phillip hatte die Augen geschlossen und folgte mir nur sehr zögernd. Ich zog aus der Brusttasche den silbernen Brieföffner, den ich von Trevor bekommen hatte, umklammerte ihn mit der rechten Hand, und nahm in die linke die Tonnachbildung der Wolfsblume.
Endlich hatte ich das erste Stockwerk erreicht. Ein langer Korridor zog sich rund um das Haus. Es würde schwierig werden, die Zimmer zu finden, in denen sich Eklund und Jennings aufhielten. Ich wandte mich zuerst nach rechts.
»Phillip!« rief ich leise.
Der Hermaphrodit war neben dem Stufenaufgang stehengeblieben und drückte beide Hände gegen die Brust.
»Phillip!«
Er reagierte nicht. Ich hob die Schultern. Mir blieb nicht viel Zeit. Ich mußte Eklund und Jennings ausschalten, bevor es ihnen gelang, ihren wahnsinnigen Plan in die Tat umzusetzen. Der Gang machte einen Bogen nach links. Er schien unendlich lang zu sein. Mehr als ein Dutzend Türen befanden sich auf der linken Seite. Die ersten vier waren geschlossen, die fünfte ließ sich öffnen. Ich blickte in ein geschmackvoll eingerichtetes Gästezimmer, das aber leer war. Danach kam ein verschwenderisch ausgestattetes Badezimmer.
Bevor ich die nächste Tür öffnen konnte, hörte ich ein Geräusch. Ich wandte den Kopf. Jennifer Jennings kam langsam auf mich zu. Ihr weißblondes Haar fiel lose über die Schultern und die hohen Brüste, die aus einem blutroten Abendkleid hervorsprangen. Das Kleid war aus Samt und bodenlang, das Oberteil schmiegte sich eng an ihren Körper an, und der Rock war weit und flauschig. Sie trug keinen Schmuck; das hatte sie nicht nötig. Zwei Schritte vor ihr lief der graue, große Wolf, den sie im Käfig gekost hatte.
Wie war es ihr gelungen, so rasch den Wolf zu holen und sich umzuziehen? Hatte sie vielleicht auch die anderen Wölfe schon losgelassen? Meine Hand umkrampfte den Brieföffner. Der graue Wolf knurrte mich wütend an. Jennifer stieß einen leisen Zischlaut aus, und der Wolf beruhigte sich etwas und blieb stehen.
»Welche Ehre!« sagte sie mit einschmeichelnder Stimme.
Ich hob die Wolfsblume hoch, und sie starrte sie an. Für einen Augenblick flackerten ihre bernsteinfarbenen Augen, und ein leises Zittern durchlief ihren Körper.
»Damit können Sie mir nichts anhaben«, sagte sie verächtlich und zeigte auf die Wolfsblume.
Ich
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