012 - Freie Seelen
schon jemand gezielt nach ihm suchen und dann war er längst über alle Berge.
Er schaute nach vorne. Vor ihm, über einem Abgrund von einem Meter, drehte sich der äußere Bereich des Turms, der das Büro des Sicherheitschefs beherbergte. Kramerts Domizil drehte sich um den inneren Kern, in dem Uli gerade stand. Das Ganze befand sich in einem Turm, der weit über das eigentliche Filbo-Zentralgebäude ragte und ihm ein ganz eigenes Aussehen gab. Kramerts Büro wurde auch das Auge genannt, dabei gab es nicht nur äußerliche Anleihen.
Der Schacht war ebenfalls vergattert und besaß die gleiche Röhrenform mit einem Durchmesser von einem Meter. Uli hangelte sich vor, stützte sich mit den Beinen ab und wartete.
Jetzt!
Seine Hände schnellten nach vorne und griffen nach dem Gitter. Fehlanzeige!
Er versuchte es erneut, doch der einzige Erfolg bestand in einem abgebrochenen Fingernagel.
Zum Glück blutete er nicht. Er konzentrierte sich erneut, schob sich so weit an die rotierende Wand, wie es ihm möglich war, dann packte er zu.
Ja! Er hatte es geschafft. Der Zugang war offen. Er hoffte nur, dass dies keinen Alarm auslöste. Leider waren seine Informationen dahingehend lückenhaft, so blieb ihm nichts anderes, als dieses Risiko einzugehen.
Er wischte den Gedanken beiseite und konzentrierte sich auf seine Aufgabe. Er schob sich weiter vor und stützte sich an der rotierenden Wand ab.
Dann kam die Lücke. Er wartete, bis sie fast in Reichweite war, dann griff er hinein. Kaum waren seine Hände an der linken Wand, katapultierte er sich mit den Beinen nach vorne. Er griff mit der zweiten Hand an die andere Wand, spannte die Armmuskeln und zog sich hinein.
Er war drin, doch die Beine und die Hüfte baumelten nach außen. Er spreizte die Arme erneut an die Wand, drückte den Rücken durch und zog sich in den Schacht. Es klappte.
Erneut blieb er minutenlang liegen, nahm ein weiteres Kohlenhydratkonzentrat und beruhigte seinen Atem. Geschafft. Wenn es keinen Alarm gegeben hatte, war das Ziel vor Augen und die größten Hürden überwunden. Und wenn es Alarm gegeben hatte, war er sowieso im Eimer.
Er sammelte sich kurz, beruhigte seinen rasenden Puls, dann machte er sich auf den Weg.
*
17. März 2063
Du spürst es in jeder Faser. Ganz tief drin. Es schwillt auf und ab, wie eine Sinuskurve, doch die Dämpfung ist gering. Kaum messbar, nicht fühlbar.
Wie ein Feuer. Ein inneres Feuer, das deinen Willen ansengt. Wer wird gewinnen?
Ego! Der Mittelpunkt des Seins. Doch heute bist du selbst nicht der Mittelpunkt, nicht der Fixstern, nicht die Sonne. Eher die eisenhaltigen Späne. Die Anziehungskraft ist animalisch, die Verlockung groß. Es ist einfacher, zu töten, als Leben zu schenken. Eine bittere Erkenntnis, wenn auch nicht neu.
Der Wunsch nach dem Fallenlassen ist groß, ein Moment der Unaufmerksamkeit, dem Nachgeben des Lockrufes. Warum den inneren Schweinehund bekämpfen? Warum?
Es ist wie das ewige Kreisen. Noch eine Runde. Und noch eine Runde. Ähnlich der Schwerkraft, die für eine stabile Bahn sorgt. Unbestechlich und nicht nachlassend. Okay, es bleibt die Hoffnung. Es muss nachlassen. Und es lässt nach.
Das weiß die Erfahrung, nicht nur die eigene. Nur spürst du es nicht. So blendet einen die Fata Morgana. Diese Leichtigkeit. Ist es nicht schön, böse zu sein? Ein lieblicher Reiz voller Macht und Intensität.
Die Kehle trocknet aus, keine Flüssigkeit kann diesen speziellen Durst löschen. Ein ewiger Durst. Ein nie versiegender Durst. Wie sollte so etwas Grundsätzliches versiegen. Wie?
Ein generelles Umdenken ist nötig, da hilft alles nichts. Die Ursache muss bekämpft, oder abgeschwächt, oder was auch immer werden. Die reine Wirkung ist nicht das Entscheidende. Nur vordergründig das Entscheidende. Oder täusche ich mich da?
Doch wo bleibt der Spaß? Die Befriedigung? Ist sie schaler geworden? Oder ändert sich der Geschmack noch? Wird die Schalheit zum Genuss?
Es ist ein Schmerz, der von innen kommt. Von ganz tief. Man gewöhnt sich dran. Glaube es oder lasse es sein. Er beginnt, mich zu erfreuen. Eine innere Kraft entsteht. Langsam, aber stetig.
*
7. Juni 2063
Kramerts Domizil war ein Traum. Das Panoramafenster zog sich fast ganz um das runde, gut dreihundert Quadratmeter messende Büro.
Uli inspizierte die Örtlichkeit, es war niemand anwesend. Er war erleichtert, konnte er so auf Gewaltanwendung verzichten.
Neben dem riesigen Arbeits- und Wohnzimmer – neben
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