0121 - Horror-Urlaub
mahnte Jens Olsen und wirbelte herum, weil der Schwachsinnige ihn anstieß und auf einen Schafstall deutete, der etwa dreihundert Schritte entfernt zwischen Ligusterhecken stand.
Der Polizist erstarrte.
Neben dem Gebäude bewegte sich eine Gestalt, die genau den gleichen Umhang trug, wie ihn der Schwachsinnige gefunden hatte. Ein Dreispitz bedeckte den Kopf des Unbekannten.
Inzwischen waren auch die anderen aufmerksam geworden.
»Wer ist das?« frage Godfred Fisker. Er konnte sich nicht erinnern, auf Anholt jemals eine ähnliche Erscheinung erblickt zu haben. Der Mann wirkte, als stamme er nicht aus diesem Jahrhundert.
Jens Olsen lief auf den Schafstall zu.
Das Gelände stieg leicht an. Er geriet außer Atem. Er war das Laufen nicht gewohnt. Meist benutzte er auf seinen Dienstfahrten ein Fahrrad.
Plötzlich wandte sich die stumme Gestalt ab. Sie reagierte weder auf Zuruf noch auf Winken.
Als der Polizist sein Ziel erreichte, war der Fremde spurlos verschwunden. Olsen blickte sich gründlich um. Er betrat das Halbdunkel des Stalles, schaute in jede Ecke. Es gab nicht sehr viele Verstecke.
Der Unbekannte war wie vom Erdboden verschluckt. Er mußte sich in Luft aufgelöst haben. Unmöglich, daß er in der kurzen Zeit hinüber zu dem Herrenhaus der Familie Henderson gerannt war, dem nächsten Gebäude. Und das Gelände war flach wie ein Teller, gewährte einen ausgezeichneten Überblick.
Olsen schüttelte den Kopf.
Später suchte die ganze Gruppe. Ebenfalls ohne Erfolg. Der Mann konnte nicht gefunden werden.
»Dabei werde ich das Gefühl nicht los, daß er etwas mit dieser Sache zu tun hatte«, seufzte der Polizist. »Also ein Mensch aus Fleisch und Blut und kein Dämon oder Fabelwesen, wie ihr mir einreden wolltet.«
***
Marion Theben hatte ernsthaft erwogen, ihren Sommerurlaub auf Anholt abzubrechen. Aber bereits nach einer Nacht ungestörten Schlafes im Ferienbungalow faßte sie wieder Mut.
Godfred Fisker tat alles, um die Lehrerin aus Hamburg zu verwöhnen, allerdings - wie seine Frau meinte - nicht ganz uneigennützig.
Er fuhr die hübsche Lehrerin aus Hamburg in seinem Motorboot spazieren, hielt sich dabei aber immer im Blickfeld der eigenen Frau, die vom Küchenfenster aus die Fanggründe sehen konnte und sicher Alarm geschlagen hätte, wenn sich ihr Mann mit etwas anderem als Fischen und Netzen beschäftigt hätte.
Über ihre Beobachtungen im Hünengrab sprach Marion Theben nicht mehr. Sie hatte Holger Jerup, ihrem dänischen Kollegen, alle Einzelheiten geschildert und schien die Vorfälle aus ihrem Gedächtnis gestrichen zu haben.
Sie lag nach dem Essen im Garten und sonnte sich. Sie fand bereits wieder Gefallen an dem frischen Wind, der von der See herüberwehte, an der Ruhe und dem Frieden einer Landschaft, die nur auf den ersten Blick reizlos und langweilig wirkte.
Von ihrem Liegestuhl aus genoß Marion Theben den Sonnenuntergang. Sie beobachtete das Farbspiel am Horizont, der wie in Flammen stand, sich erst purpurn, dann violett verfärbte.
Jetzt wurde es schlagartig kühl.
Fröstelnd eilte die Lehrerin ins Haus.
Sie zog sich um, kochte Tee und aß zu Abend. Sie mußte mehr als einmal an Holger Jerup denken. Das war ein Mann, für den sie gern ihre Unabhängigkeit geopfert hätte. Gedanken dieser Art hatte sie schon häufiger gehegt. Denn es waren die einsamen Abende und besonders die Wochenenden, an denen sie sich mehr Geselligkeit wünschte, eine Art von Zweisamkeit, wie weder gute Freunde noch Bekannte sie bieten konnten.
Bald feiere ich meinen zweiunddreißigsten Geburtstag, dachte Marion Theben und lächelte bitter. Seit wann feierte man Niederlagen?
Sie trat an den Frisiertisch im Schlafzimmer und stellte sich vor den Speigel. Sie betrachtete sich eingehend.
Niemand konnte behaupten, daß ihr Gesicht nicht hübsch war. Lag es also an ihr, daß sie noch immer unverheiratet war? War sie zu kritisch? An Verehrern hatte es nie gemangelt. Aber jeden Bewerber hatte sie geprüft und als ungeeignet eingestuft - aus den verschiedensten Gründen. Jetzt fand sie sich in einer Position, in der es hieß: zupacken. Bedenken hintenan stellen. Dazu aber fehlte ihr noch der Mut. Dabei drängte die Zeit!
Marion Theben ordnete ihr tizianrotes Haar.
Dabei fiel ihr Blick auf die Tür des Wintergartens, die sich im Spiegel zeigte und bei einer bestimmten Stellung ihres Körpers in das Blickfeld der Frau geraten war.
Die Lehrerin erstarrte.
Hatte sich nicht die Klinke bewegt?
Marion Theben
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