0123 - Der Spinnen-Dämon
sich, wodurch sie so plötzlich wach geworden war. Ein Geräusch? Hatte sie - noch im Schlaf - ein Geräusch wahrgenommen, das sie geweckt hatte?
Wieso war Nicole Duval von diesem Geräusch nicht aufgeweckt worden? Bonnie Horne merkte, wie ihr Herz kräftiger zu pumpen begann.
Obwohl das Blut nun schneller durch ihre Adern zirkulierte, war ihr furchtbar kalt. Hatte diese seltsame Kälte sie geweckt?
Bonnie Horne zog die Decke bis ans Kinn hoch. Dennoch konnte sie nur mit Mühe verhindern, daß ihre Zähne klappernd aufeinander schlugen.
Sie wandte den Kopf. Wieso spürte Nicole nichts von dieser unerträglichen Kälte? Unter deren Decke schien es wohlig warm zu sein.
Bonnie spürte, wie ihr Mund trocken wurde, als sie begriff, daß es hier nicht mit rechten Dingen zugehen konnte.
Diese Kälte kam von ihm! Er ließ sie so erbärmlich frieren!
Bonnie Home setzte sich mit einem schnellen Ruck auf. Silbriges Mondlicht fiel zum Fenster herein. Es erhellte den Raum. Bonnie vermochte jede Einzelheit genau wahrzunehmen.
Mit furchtsamen Blicken suchte sie die schreckliche Kallerspinne. Professor Zamorra hatte ihr zwar versichert, daß der Namenlose ihr Schlafzimmer nicht betreten könne - aber auch ein Zamorra konnte sich mal irren.
Was dann?
Die schwarze Spinne tauchte nirgendwo auf. Dennoch war Bonnie Horne keineswegs erleichtert.
Die Angst schüttelte sie immer hemmungsloser. Sie fühlte ein geheimnisvolles Locken, dem sie nur sehr schwer widerstehen konnte. Irgendwo im hintersten Winkel ihres Kopfes begriff sie, daß der Namenlose sie bewegen wollte, das Haus zu verlassen, weil er diesen Raum nicht betreten konnte.
Erschrocken versuchte sie dagegen anzukämpfen. Doch die Kälte, die immer tiefer in ihre Glieder drang, verleitete sie zu Handlungen, die sie nicht tun wollte.
Trotz verzweifelter Gegenwehr verließ sie das Bett. Sie wollte Nicole Duval wecken, doch sie lenkte ihre Schritte nicht zu deren Bett, sondern zum Schrank, den- sie geräuschlos öffnete.
Bonnie hatte das Gefühl, eine unsichtbare Hand würde ihre Kehle schmerzhaft zuschnüren.
Sie wollte Nicole rufen, doch kein Laut kam über ihre Lippen. In höchstem Maße bestürzt stellte sie fest, daß sie sich ankleidete. Alles deutete darauf hin, daß sie das Haus verlassen würde.
Aber sie wollte das nicht. Um Himmels willen, sie wollte das doch gar nicht!
Bonnie hatte bereits die Schuhe an. Das unheimliche Locken nahm zu. Sie war darin eingebettet. Es umgab sie wie eine weich wattierte Hülle.
Obgleich sie nicht die Absicht hatte, jedes Geräusch zu vermeiden, tat sie es mit größtmöglicher Aufmerksamkeit.
Auf Zehenspitzen begab sie sich zum Fenster. Sie hätte so gern ihre schreckliche Angst, ihre abgrundtiefe Verzweiflung hinausgeschrien, doch sie blieb stumm.
Behutsam öffnete sie den Fensterriegel. Sie zog den Flügel sachte auf. Nur so weit, um über die Fensterbank gleiten zu können.
Das Mädchen empfing einen neuerlichen, stärkeren Impuls, dem sie sofort gehorchte.
Sie wußte, daß dies die Nacht der Erfüllung für sie sein würde. Sie begriff, daß ihre entsetzliche Furcht nun bald ein Ende haben würde.
Alles, alles würde bald ein Ende haben - und das war gut so, denn Bonnie wurde mit dieser furchtbaren nervlichen Belastung ohnedies nicht mehr fertig.
Vorsichtig - um Nicole Duval nicht zu wecken - zog sie den Fensterflügel hinter sich zu. Mit den Füßen stand sie auf einem schmalen Sims.
Sie tastete sich darauf zur Regenrinne hin und kletterte an dieser wie eine Schlafwandlerin nach unten.
Eine Vielzahl von Gefühlen stürmte auf sie ein, als sie festen Boden unter ihren Füßen spürte.
Bonnie Horne sehnte die Erlösung herbei. Sie wollte den Tod, weil sie mit dieser wahnsinnigen Angst sowieso nicht mehr leben konnte.
Etwas sagte ihr, wo sie den Tod finden konnte. Das junge Mädchen bewegte sich auf dem Leitstrahl des Bösen.
Mit mechanischen Schritten setzte sich Bonnie Horne in Bewegung. Sie wußte haargenau, wohin sie ging.
Sie wollte diesen Weg ohne Umkehr gehen, wollte es gleichzeitig aber nicht. Die eine Hälfte in ihr wehrte sich gegen das unvermeidbar scheinende grausame Ende.
Die andere Hälfte konnte kaum noch erwarten, bis es zur Begegnung mit dem Spinnendämon kam.
Bonnie Horne ging wie in Trance vom Haus weg. Sie hörte das Rauschen des Meeres, schritt über einen unbefestigten Weg, der beiderseits von Dünen eingesäumt war.
Der Weg neigte sich. Er fiel relativ steil zum Strand ab. Bonnie war
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