0125 - Der Leichenbrunnen
Lichtstrahl verlor sich aber in der Schwärze. Er traf den Grund nicht.
Demnach hatte ich noch eine ganz schöne Strecke vor mir. Ohne lange zu zögern, machte ich mich auf den Weg, wobei ich hoffte, daß die Steigeisen mein Gewicht halten würden.
In meinen Schultern hatte ich noch immer kein Gefühl. Zudem zitterten mir die Arme, und auch die Finger schmerzten. Aber ich lebte. Und das war am wichtigsten.
Zuerst mußte ich meine Beinfesseln loswerden. Erst dann konnte ich weitersehen.
Allzu hastig durfte ich mich dabei nicht bewegen, das hätten die Steigeisen auf keinen Fall ausgehalten.
Mit der linken Hand hielt ich mich fest, klemmte die Lampe zwischen die Zähne, beugte meinen Oberkörper nach unten und machte den rechten Arm lang.
Meine Fingerkuppen tasteten nach den Knoten in den Stricken.
Es war kein Kunststück, sie aufzubekommen, auch nicht mit einer Hand.
Die Fesseln fielen.
Befreit atmete ich auf. Jetzt konnte ich mich endlich besser bewegen. Ich ging etwas in die Hocke, streckte mein Bein aus und suchte mit den Zehen das nächste Steigeisen.
Ich fand es. Eine kurze Prüfung, ob es genügend Halt gab – ich war zufrieden –, dann verlagerte ich mein Gewicht und löste auch die Hand von dem Steigeisen.
Auf diese Art und Weise kam ich voran, und das helle Loch über mir wurde kleiner und kleiner.
Gleichzeitig verschlechterte sich die Luft. Vom Boden her stiegen Gase auf, die mir den Atem raubten. Wer für längere Zeit hier unten eingeschlossen war, kam mit Sicherheit um. Einmal stieß ich mit der Schulter gegen ein weicheres, länglicheres Teil. Ich faßte nach und hielt ein Seil in der Hand.
Es schien bis zum Boden durchzuhängen.
Ich aber kletterte weiter, hangelte mich nicht am Seil hinunter und erschrak bis ins Mark, als ich einmal ins Leere trat. Hörten die Sprossen jetzt auf?
Ich nahm die Lampe und leuchtete dicht an der Brunnenwand nach unten.
Diesmal traf das Licht den Grund. Ich sah ebenfalls, daß ein Steigeisen fehlte. Deshalb hatte ich ins Leere getreten.
Weiter.
Über mir rieselte es von der Wand. Rost und Dreck regneten in mein Gesicht mir auf die Haare.
Zum Glück hielten die Eisen.
Ich war gespannt, was und wer mich auf dem Grund erwarten würde. Noch einmal leuchtete ich.
Etwas glänzte dunkel. Eine Wasserpfütze, die das Licht der Lampe zurückwarf. Noch ein Steigeisen hatte ich zu überwinden, dann konnte ich springen.
Ich landete sicher.
Meine Füße versanken bis zu den Knöcheln im Matsch. Ansonsten klebte mir die Kleidung am Körper. In Bächen lief der Schweiß über mein Gesicht, das Atmen wurde zur Qual.
Ich leuchtete den Grund des Brunnens ab. Es lag viel Gerümpel herum. Alte Lappen, Eimer, modrige Holzstücke, Abfall, und ich sah auch Ratten.
Sie huschten weg, als sie in den Strahl der Lampe gerieten. Von diesen Viechern hatte ich die Nase nach meinem Abenteuer mit dem Rattenkönig gestrichen voll.
Die Ratten verschwanden in einem Gang.
Ich ging einen Schritt vor und leuchtete hinein. Der Gang war sehr niedrig angelegt, ich mußte schon kriechen, wenn ich ihn durchqueren wollte.
Von dem geheimnisvollen Baxman sah ich nichts.
Existierte er überhaupt? Oder war alles nur eine Lüge? Wenn ich allerdings an die Skelette dachte, dann glaubte ich doch daran, daß dieser Baxman irgendwie gegenwärtig sein mußte.
Und er war da.
Allerdings hockte er nicht im Gang, sondern ganz woanders. Er überraschte mich mit seinem Auftauchen.
Plötzlich bewegte sich unter meinen Füßen die Erde. Sie wurde von einer unbekannten Gewalt regelrecht aufgeworfen. Eine Klaue griff nach meinem rechten Fuß, zerrte daran, ich konnte mich nicht rasch genug fangen und fiel hin.
Mit dem Rücken schrammte ich über die Tunnelwand, stützte mich mit dem linken Arm ab und leuchtete mit der Lampe in die Richtung, wo sich die Erde bewegte.
Ein Kopf, eine Schulter erschienen.
Baxman kam.
Und er war ein Monster!
***
Der Splitterregen ergoß sich in das Innere des Pferdestalls und bedeckte auch Cora Bendix.
Sie schrie auf, als die kleinen Scherben in ihre Gesichtshaut schnitten, duckte sich dann und preßte beide Hände gegen ihre Wangen.
Im Nu erfüllte der eisige Hauch den gesamten Pferdestall. Die Tiere waren nicht mehr zu halten. Sie rissen sich kurzerhand los und rasten aus ihren Boxen.
Bis zur Wand war kaum Platz. Die ersten Pferde rannten dagegen und warfen sich schrill wiehernd herum.
Es war eine Hölle.
Instinktiv tat das Mädchen genau das Richtige. Cora warf
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