013 - Der Kopfjäger
Pierre Gormats Gehirn. Charles-Henri Sanson de Longval unterdrückte Pierre Gormats Geist. Aber mir gelang es nur teilweise, den Geist des Henkers von Paris zu beherrschen. Der Mann war wahnsinnig gewesen, als er starb, und die Ausstrahlung von Wahnsinnigen ist für einen Dämon kaum zu ertragen.
Anfangs redete der Henker wirres Zeug. Unverständliche Worte sprudelten aus seinem Mund. Er wollte zurück; zurück in die Dunkelheit.
Dann sprach er immer deutlicher, immer verständlicher. Ich stellte ihm unzählige Fragen, die er nicht beantwortete. Er tobte im Keller herum, und ich bekam es mit der Angst zu tun.
Gilbert Sanson hatte ein zweischneidiges Henkersschwert mitgenommen, das früher einmal dem Henker von Paris gehört hatte. Es hatte sich bei der Geisterbeschwörung als gut erwiesen, wenn sich ein Gegenstand des Verstorbenen im Raum befand. Bevor ich noch eingreifen konnte, packte der Henker das Schwert und blieb vor seinem Urenkel stehen. Eine unglaubliche Kraft strömte von Charles-Henri Sanson de Longval aus. Ich versuchte seine Ausstrahlung zu brechen, doch es gelang mir nicht. Wie unter einem unheimlichen Zwang kniete Gilbert Sanson nieder und senkte den Kopf. Und dann kam das Furchtbare: Der Henker stellte sich hinter Gilbert Sanson und sprach die Worte, die sich von Generation zu Generation vererbt hatten.
»Herr, mein Gott, ich flehe um deine Barmherzigkeit. Laß deine Gnade auch leuchten über die Seele des armen Sünders, den von seinem Erdenleben zu befreien mir jetzt obliegt.«
Mit einem gewaltigen Hieb trennte er den Kopf Gilbert Sansons vom Leib. Der Kopf kullerte über den Boden. Meine Blutgier erwachte. Ich packte den Toten und schlürfte das hervorquellende Blut. Ich steigerte mich in einen wahren Rausch. Es war eine Lust, das herrlich warme Blut zu trinken. Ich konnte nicht genug bekommen.
Als ich aus meiner Ekstase erwachte, war der Henker mit dem Schädel des Ermordeten verschwunden, doch es war mir ein Leichtes, dem Henker zu folgen. Er schritt unbeirrt durch die nächtlichen Straßen. Sein Körper war fast unsichtbar, nur eine schemenhafte Gestalt, die kaum zu erkennen war. Bald hatte ich Mühe, ihm auf den Fersen zu bleiben, da er immer rascher ging. Und plötzlich war er gänzlich unsichtbar geworden. Ich spürte nur noch seine Ausstrahlung und konnte ihm daher weiter folgen. Wir überquerten die Seine. Er ging in Richtung Süden. Es kam mir endlos lange vor, bis er endlich in einer einsamen Gasse stehenblieb. Er trat in ein altes verlassenes Haus ein. Ich blieb draußen stehen und versuchte, die Kontrolle über ihn zu erlangen, doch ich hatte nur teilweise Erfolg damit.
Ich betrat ebenfalls das Haus, und er nahm Gestalt an. Ich kämpfte mit ihm, doch ich konnte ihn nicht besiegen. Sein wirrer Geist ließ es nicht zu. Ich legte einen Bannspruch um das Haus und kehrte in mein Sanatorium zurück. Verzweifelt suchte ich nach einem Weg, den Henker auszuschalten. Es bleibt mir nur eine Möglichkeit: Ich muß einen anderen künstlichen Menschen schaffen und ihn beseelen. Dazu muß ich einen mächtigen Geist erwecken. Irgendeinen Dämon, der immun gegen die Ausstrahlung eines Wahnsinnigen ist.
Heute habe ich den Henker besucht. Er tobte und versuchte mich zu töten, doch ich konnte ihn abwehren. Er ist voller Haß und Wut. Er will sich rächen, und in seinem Wahnsinn hat er das dringende Verlangen, Menschen zu töten. Er konnte den Bannspruch, den ich um das Haus gelegt hatte, überwinden. Ich folgte ihm wieder. Er hat eine unheimliche Macht. Er kann die Menschen beeinflussen und macht sie zu willenlosen Puppen, die er auf telepathischem Weg in abgeschiedene Straßen und Winkel lockt und dann köpft. Ich war immer zur Stelle und trank das Blut.
Aber langsam bekomme ich Angst. Der Henker mordet immer weiter. Die Schwarze Familie ist bereits aufmerksam geworden. Man hat von mir verlangt, den Henker zu töten, um weiteres Aufsehen zu vermeiden.
Hier endeten die Aufzeichnungen Frederic de Buers. Der Henker von Paris war also am Leben, und er hatte die Fähigkeit, sich unsichtbar zu machen. Er lauerte irgendwo in der großen Stadt und würde sich weiterhin Opfer suchen. Eine Vorstellung, die mir kalte Schauer über den Rücken jagte. Es mußte mir gelingen, ihn aufzuspüren. Aber wie sollte ich das anstellen? De Buer hatte leider nicht die Adresse angegeben, wo sich der Henker einquartiert hatte; irgendwo im Süden der Stadt, schrieb er nur.
Ich legte mich auf das Bett und schloß
Weitere Kostenlose Bücher