013 - Der Kopfjäger
die Augen. War es de Buer gelungen, doch noch Kontakt mit dem Henker herzustellen? Steckte er jetzt vielleicht im Körper des künstlichen Menschen? Wenn das zutraf, dann befanden sich Sybill, Armand und ich in großer Gefahr.
Ich ging mehr als eine halbe Stunde ruhelos im Zimmer auf und ab. Sollte ich den Untoten tatsächlich finden, wie konnte ich ihn dann ausschalten? Selbst de Buer war es nicht gelungen, den Geist des Henkers zu beherrschen.
Ich zog mich aus, duschte und wusch mir das aufgemalte Kreuz und den Dämonenbanner von der Brust. Und plötzlich wußte ich die Lösung. Sie war so naheliegend, daß ich mich ärgerte, nicht früher darauf gekommen zu sein. De Buer hatte sich nur der Mittel der Schwarzen Magie bedienen können. Mit Weißer Magie hätte er sich selbst vernichtet. Aber mir stand die Weiße Magie zur Verfügung. Ich trocknete mich ab, kroch ins Bett, trank noch einen Schluck und löschte das Licht.
Es dauerte ziemlich lange, bis ich endlich einschlief.
Das Telefon schrillte eine Viertelstunde vor neun Uhr. Ich fuhr hoch und hob den Hörer ab.
»Ihr Weckruf, Herr Garner«, sagte eine helle Frauenstimme.
»Danke«, antwortete ich und legte auf.
Verschlafen kroch ich aus dem Bett und ging ins Badezimmer. Kurz vor neun ließ ich mich mit Melvilles Wohnung verbinden. Niemand meldete sich. Ich probierte es bei Sybill Ferrand. Nach dem dritten Läuten wurde der Hörer abgehoben.
»Hallo?« meldete sich eine weibliche Stimme.
»Guten Morgen! Hier ist Dorian Hunter. Ich möchte mit Fräulein Ferrand sprechen.«
»Hunter? Aber Sie haben doch schon einmal angerufen, um sich mit Sybill zu verabreden.«
»Was sagen Sie da?«
»Aber ja!« Sie lachte. »Sie haben Sybill zu einer Villa bestellt.«
»Das ist eine Falle«, sagte ich. »Wohin ist Sybill gefahren?«
»Ich habe mir die Adresse nicht gemerkt. Marie hat Sybill dort abgesetzt.«
»Wann sind sie losgefahren?«
»Vor einer halben Stunde etwa.«
Ich überlegte kurz. »Rufen Sie mich bitte sofort an, wenn Marie zurück ist.«
Ich gab ihr die Nummer meines Hotels und sagte, daß sie Peter Garner verlangen solle. Sie versprach, mich sofort anzurufen.
Ich kleidete mich blitzschnell an, steckte einige Gegenstände ein, die mir vielleicht helfen konnten, wenn ich dem Henker von Paris gegenüberstand, und rauchte eine Zigarette nach der anderen. Das Warten zerrte an meinen Nerven.
Irgend jemand hatte wahrscheinlich mit verstellter Stimme bei Sybill und Armand angerufen. Die beiden schwebten in entsetzlicher Gefahr, und ich mußte hier sitzen und warten, bis sich Marie endlich meldete. Vielleicht aber kehrte sie gar nicht in die Wohnung zurück? Mir brach der Schweiß aus. Wie ein gefangenes Tier raste ich im Zimmer umher und ließ das Telefon nicht aus den Augen. Zwanzig Minuten nach neun läutete der Apparat endlich. Mit einem Hechtsprung war ich da und hob den Hörer ab.
»Hallo?«
»Hier spricht Marie, die Freundin von Sybill Ferrand.«
»Wohin haben Sie Sybill gebracht, Marie?«
»In die Rue Lidion«, sagte sie. »Das ist eine kleine Seitenstraße von der Rue Didot, ganz im Süden von Paris. Ich habe sie vor einem alten Haus abgesetzt. Es ist eine Villa, die inmitten eines verwilderten Gartens steht.«
»Danke«, sagte ich und legte auf.
Wie ein Verrückter rannte ich zum Aufzug, raste durch die Hotelhalle und sprintete über die Straße. Ich sprang in den Simca, startete und fuhr los. An roten Ampeln studierte ich den Stadtplan. Es war ein ordentliches Stück Weg bis in die Rue Lidion. Ich fürchtete, zu spät zu kommen.
Sybill Ferrand beäugte das Haus mißtrauisch und sah dann ihrer Freundin Marie nach, die ihr zuwinkte und davonfuhr. Das Haus sah alles andere als vertrauenerweckend aus. Es war uralt, einstöckig, das Dach an verschiedenen Stellen eingestürzt, der Verputz überall abgeblättert.
Hunters Stimme hatte merkwürdig erregt am Telefon geklungen. Sie solle unbedingt rasch hierher kommen, hatte er gesagt.
Sie betrat den verwilderten Garten. Überall wuchs Unkraut. Ein schmaler Weg führte zum Haus. Die meisten Fensterscheiben waren zerbrochen, und einige Fenster hingen schief in den Angeln. Die Tür stand weit offen. Sybill blieb stehen und blickte sich um. Kein Mensch war zu sehen, kein Auto fuhr vorbei. Irgendwo zwitscherten Vögel vergnügt.
Mißtrauisch trat sie durch die Tür und blieb stehen. Die Diele war mit einer dicken Staubschicht bedeckt. Deutlich waren unzählige Fußspuren zu sehen. Ein widerlicher
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