013 - Draculas Liebesbiss
Bilder zu erkennen, die den Text erläuterten.
Im Schein der Glühbirne war eine
Federzeichnung zu sehen, die eindeutig einen Umhang zeigte. Ein dunkler Umhang,
der auf der rechten Seite ein verschnörkeltes »D« aufwies …
Mit zitternden Fingern klappte
Rope das rechte Seitenteil des Umhangs herum. Groß und deutlich lag vor seinen
Augen das mit goldenen Fäden eingestickte »D«.
Eine Fälschung? Er wußte, daß es
keine war.
Als er in der ersten Nacht den
Umhang erhielt, hatte er sofort eine Untersuchung des Stoffes eingeleitet. Das
Gewebe hatte ein Alter von über hundertfünfzig Jahren!
Im Stoff gab es Blutflecke.
Vincent Rope hatte insgesamt vier gezählt. Das Blut Draculas, geheimnisvolles,
nie erforschtes Blut – Er, Rope, hatte die Möglichkeit, die eingetrockneten
Reste wieder zu verflüssigen. Schon griff seine Hand nach dem Reagenzglas mit
der farblosen Flüssigkeit. Aber wie vom Schlag getroffen, verharrte er auf
halbem Weg und zog die Hand wieder zurück.
Mit einer fahrigen Bewegung
strich er sich über die Stirn. Kalter Schweiß stand darauf. Rope zögerte noch
immer den entscheidenden Schritt zu gehen. Jetzt, wo er den Umhang besaß, ließ
er kostbare Zeit verstreichen. Aber war seine Zeit wirklich so kostbar? Nein,
er hatte Zeit … viel Zeit sogar. Niemand drängte ihn.
Es wurde ihm nicht bewußt, daß er
nach dem Umhang griff und ihn langsam über die Schultern zog. Ein wenig gebeugt
näherte er sich dem Spiegel, der draußen in der winzigen Diele angebracht war.
Rope sah sich – und erschrak vor seinem eigenen Aussehen. Er hatte sich
verändert. Spitz ragten die Backenknochen aus seinem Gesicht hervor. Er war nur
noch ein Schatten seiner selbst.
Rope schluckte und ging in das
armselige Zimmer zurück. Er war ein Mann Anfang dreißig, wirkte aber fast zehn
Jahre älter.
Wieder ertappe er sich dabei, daß
er nach dem Reagenzglas griff, das er mit der anderen Hand unter den Stoff
hielt und den größten der dunklen Blutflecke heraussuchte, um die Flüssigkeit
darübertropfen zu lassen.
Sein Herz schlug, als wollte es
zerspringen.
Es war, als würde etwas Fremdes
von seinem Bewußtsein Besitz ergreifen und ihn zwingen, es endlich zu tun.
Er zuckte zusammen, als er
plötzlich merkte, daß er nicht mehr allein in der Wohnung war.
Jemand stand hinter ihm!
●
Sie suchten die ganze Wohnung
durch. Jedes einzelne Buch nahmen sie sich vor, jede Schublade. Während Tack im
Laden selbst suchte, kontrollierte Callaghan in der gleichen Zeit den wuchtigen
Schreibtisch im Arbeitszimmer des Toten.
Nach gut einer Stunde gaben sie
auf. »Offenbar gibt es ein solches Buch nicht«, meinte Tack, während sie
gemeinsam zum Ausgang gingen.
»Oder der Täter hat es an sich
genommen.«
Tack verschloß die Eingangstür
und versah das Schloß mit einem neuen Siegel.
Vor dem Haus trennten sich die
Wege der beiden Männer.
»Halten Sie mich auf dem
laufenden«, bemerkte Callaghan noch, ehe der Inspektor ging.
»Als Gegenleistung hoffe ich,
auch von Ihnen etwas zu erfahren, Callaghan.«
»Darauf können Sie sich
verlassen! Sobald ich etwas Greifbares in Händen halte, hören Sie von mir. Das
ist vielleicht – schon sehr bald der Fall«, fügte der Journalist mit leiser,
geheimnisvoller Stimme hinzu. Er sah dem Inspektor nach, wie er im Nebel
verschwand. Dann wandte Callaghan sich um und näherte sich seinem grünen
Morris, der im Hinterhof, direkt neben dem grauen, verrosteten Kastenwagen
Richmonds stand.
Das Gesicht Robert Callaghans war
ernst und verschlossen, als er den Wagen startete. Der Journalist verließ den
düsteren Hof, fuhr zur Kingsroad vor, und parkte dann vor Jonny’s Steak House.
Er ging hinein, bestellte sich ein Steak und ein Lager. Sein Blick kreiste.
Gemischtes Publikum, viel Jugendliche, Girls in Maxikleidern und mit langen
Haaren. Laute Musik aus einem Lautsprecher an der Decke. Pop-Musik. Ein Stück
von Jim Hendrix und seiner Gruppe.
Rhythmische Gitarrenklänge –
elektrisch verstärkt – wogten wie überdimensionale Wellen durch den kleinen
schlauchähnlichen Raum.
Callaghan störte sich weder an
der Musik noch an der Unruhe. Er griff in die Brusttasche seines Mantels und
nahm ein kleines zerknittertes Buch heraus, das aussah wie ein Schulheft.
Albert Richmonds Tagebuch!
Er hatte es im Schreibtisch
gefunden, und Inspektor Tack hatte es nicht bemerkt. Wohlweislich hatte
Callaghan seinen Fund verschwiegen. Er wollte erst selbst wissen, was es mit
den Eintragungen
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