013 - Draculas Liebesbiss
auf sich hatte.
Er klappte den zerknitterten,
schmierigen Deckel zurück. Mit großen Buchstaben hatte Richmond die Worte
»Interessenten für Draculas Mantel« hingeschrieben.
Wahllos blätterte Callaghan,
drei, vier Seiten weiter.
Ein Datum. Unter dem 8. September
stand folgender Vermerk.
»… heute war er wieder da. Er hat
sein Angebot verdoppelt. Ich bin noch nicht bereit, mich von dem Stück zu
trennen …«
Unter dem 10. des gleichen
Monats: »… Bandeis ist ebenfalls interessiert. Aber er nimmt das Ganze mehr als
einen Scherz. Er will sich das Kostüm, wie er es bezeichnet, für den nächsten
Maskenball ausleihen. Ich bin überzeugt davon, daß er nicht an die Echtheit des
Umhangs glaubt … Rope dagegen hat mich auch heute wieder wissen lassen, daß er
an seinem Angebot festhält. Ich soll allerdings seine Geduld nicht unnötig
lange strapazieren …«
Am 5. November hatte Richmond
folgendes eingetragen: »Nun interessiert sich auch ein Journalist namens
Callaghan für den Mantel. Es scheint, daß dieser Callaghan an der Herkunft
nicht zweifelt. Er wollte den Umhang sehen. Ich bin diesem Wunsch nicht
nachgekommen. Ich spiele mit dem Gedanken, abzustreiten, daß sich Draculas
Mantel in meinem Besitz befindet. Das Gerücht hat einen Umfang angenommen, der
mich erschreckt. Ich hätte Rick niemals einweihen dürfen. Aber was geschehen
ist, ist nun mal geschehen. Rick war dabei, als ich der Zigeunerin den
Wäschesack abkaufte …«
Erst unter dem 19. November
folgte wieder eine neue Eintragung. Und wieder tauchte der Name Rope auf.
Diesmal war sogar der Vorname genannt.
»Vincent Rope war wieder da. Er
gibt keine Ruhe. Er war bereit, mir zehn Pfund zu bieten, nur um einen Blick in
die Truhe werfen zu können. Das habe ich ihm erlaubt. Als er Draculas Mantel in
Händen hielt, hat Rope gezittert. Ein merkwürdiger Bursche! Scheint sich
während der letzten Jahre seines Lebens nur mit geheimnisvollen Büchern,
Schwarzer Magie, Vampirismus und derartigem Zeug beschäftigt zu haben. Er
gestand mir selbst ein, daß er Naturwissenschaft studierte, ehe er das Studium
an den Nagel hängte und sich mit dem Phänomen der Teufelskulte, der Schwarzen
Messen und anderer schauriger Erscheinungen des Mittelalters beschäftigte. Sein
Interesse für Übersinnliches ging weiter und beherrschte sein ganzes Denken und
Fühlen. Er wurde zum Sonderling und zog sich zurück. In Soho hat er eine
heruntergekommene Dachwohnung gemietet. Dennoch ist er in der Lage, den
gebotenen Preis zu zahlen. Er hat wohlhabende Eltern, die weiterhin auf sein
Konto große Beträge überweisen. Er rührt sie kaum an. Er verbraucht nur das
Notwendigste für den Lebensunterhalt und zum Kauf von seltenen Büchern. Bei
einer solchen Gelegenheit lernte ich ihn kennen. Er durchsuchte auch meine
Regale nach einem antiquarischen Buch über Vampirismus, Teufelskulte und
Hexensabbate. Er fand etwas Interessantes. – Rope hat mich eingeladen. Ich soll
mir seine Büchersammlung in seiner Wohnung ansehen. Er behauptet, mir anhand
eines vor über hundert Jahren erschienenen Privatdruckes in ungarischer
Sprache, von dem nur noch dieses eine Exemplar existieren soll, nachweisen zu
können, ob es sich bei dem Mantel tatsächlich um das echte Kleidungsstück
handelt.«
Zwei Tage später:
»Ich habe den Besuch gemacht.
Rope ist besessen – und er ist gefährlich! Selbst wenn ich wollte, ich könnte
ihm niemals den Mantel überlassen. Spiele mit dem Gedanken, ihn zu vernichten.
Ich will das Teufelsding nicht mehr länger im Haus haben. Wahrscheinlich war
ich bis heute abend selbst nicht überzeugt davon, daß mehr als nur ein Verdacht
an dem Mantel hängt. Nun fühle ich mich nicht mehr wohl in meiner Haut, nachdem
ich die verblaßte Abbildung in dem Buch gesehen habe. – Rope las mir den Text
vor. Wenn seine Übersetzung stimmt – er hat sich ungarische Sprachkenntnisse
angeeignet, nur um dieses alte Buch ohne Hilfe selbst übersetzen zu können –,
dann hat Dracula diesen Mantel bei seinem Tod getragen. Auf welche Weise der
Umhang seinen Weg von den Karpaten nach Ungarn und von dort aus schließlich
nach England gefunden hat – das allerdings ist und bleibt ein Rätsel …«
Callaghan merkte, wie seine
Handflächen heiß wurden und zu schwitzen anfingen.
Er klappte das Heft zu, als die
Bedienung an seinem Tisch auftauchte, Serviette und Besteck bereitlegte und ihn
freundlich anlächelte.
Mit fahriger Bewegung steckte er
das Heft ein und griff nach seiner
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