013 - Draculas Liebesbiss
Angriff abzuwehren. Die Stuhlbeine zersplitterten wie Zuckerguß
auf seinen Unterarmen.
Rick schrie und warf sich auf
seinen Gegner. Von einem Augenblick zum anderen entwickelte sich ein Streit,
den keiner gewollt hatte und dem doch keiner auswich.
Beide waren gereizt, nervös. Der
angestaute Ärger des rauschgiftsüchtigen Fermon, der sich um seinen Lohn
gebracht sah, machte sich ebenso Luft wie die Erregung Vincent Ropes, der den
Störenfried so schnell wie möglich aus seiner Wohnung bugsieren wollte.
Rick rutschte aus und fiel auf
den schmutzigen Boden. Blitzschnell war Rope über ihm und schlug dem
Langhaarigen mitten ins Gesicht. Es gelang Rick, die Arme in die Höhe zu
bringen. Seine Fingernägel zerkratzten Ropes Stirn. Rope warf sich herum und
ließ los. Brennender Schmerz breitete sich auf seinem Gesicht aus.
Er sah wie durch eine Nebelwand
den Süchtigen zurücktaumeln. Rick fiel gegen den Tisch, griff wutentflammt nach
dem alten, aufgeschlagenen Buch und schleuderte es nach Rope. Die Blätter
flogen wie aufgescheuchte Tauben durch den Wohnraum.
Knurrend stürzte sich Rope auf
Rick. Die Tischbeine ächzten unter dem Gewicht der beiden Männer. Ropes Hände
legten sich wie Stahlzangen um den Hals des Gegners. Der Körper Fermons spannte
sich wie unter einem Krampf. Zitternd suchten seine Hände nach einem
Gegenstand. Rope versetzte dem Gegner einen Schlag in die Magengrube. Pfeifend
entwich die Luft den Lungen des Getroffenen.
Rick rutschte ab, konnte aber die
halbleere Whiskyflasche noch erwischen, die hinter dem Glas auf dem Tisch
stand. Brutal und ohne zu überlegen schlug er zu. Es knirschte dumpf, als die
schwere Flasche Ropes Hinterkopf traf.
Gurgelnd brach der Getroffene
über der Tischplatte zusammen. Alles vor seinen Augen drehte sich. Rope merkte
nicht, wie das Blut aus der Platzwunde quoll, er spürte nicht, wie er mit der
Rechten in das dünnwandige Reagenzglas griff, das unter dem Druck klirrend
zersprang. Zahlreiche Glassplitterchen bohrten sich in seine Hand, und dünne
Rinnsale hellen Blutes liefen zwischen seinen Fingern.
Rope rutschte über den Tisch und
glitt schwer zu Boden. Der dunkle Umhang verdeckte ihn.
Nur die blutverschmierte Hand
ragte unter dem seidig schimmernden Stoff hervor. Blutstropfen bildeten sich
auf dem Boden, Blut tränkte den Stoff und kam mit den ausgetrockneten Flecken
in Berührung, die man auf Dracula zurückführte.
Das Ergebnis war erschreckend.
Ropes Blut, das diese Stellen berührte, schien zu einem eigenen Leben zu
erwachen. Es wurde dickflüssig, dunkler und wölbte sich wie ein Brei auf einer
Feuerstelle.
Das Blut Ropes und Draculas
mischte sich. Und das rätselhafte, unheimliche Blut des Grafen kam nun, verflüssigt,
mit den winzigen Schnittwunden an Ropes Hand in Berührung. Es trat etwas ein,
was eigentlich den Naturgesetzen widersprach: das Blut formierte sich zu einem
schmalen Rinnsal und floß nicht mehr aus den Wunden, sondern – in rückläufiger
Bewegung – in die Adern.
Draculas Blut befand sich in der
Blutbahn eines lebenden Menschen!
●
Callaghan parkte seinen Morris am
Eingang der Meard Street. Zu Fuß ging der Journalist die dunkle Gasse entlang.
Handtuchschmale Häuser. Hinter farbig angestrichenen Fenstern und zugezogenen
Vorhängen gedämpftes Stimmengemurmel, Musik, Lachen. Aus einer Bar torkelte ein
Betrunkener und taumelte gegen Callaghan.
»Sorry – Bruder …« Der Betrunkene
grinste. »Falls es weh getan hat – ich lade dich zu einem Drink ein. Whisky macht
alles – wieder gut …«
»Schon gut! Das nächste Mal! Oder
vielleicht nachher. Es ist noch früh am Tag.« Callaghan schob den Anhänglichen
zur Seite, bis er die Hauswand im Rücken hatte, und ließ ihn dann los.
»Früh am Tag? Es ist doch Nacht,
Guy …«
Es war dunkel wie in der Nacht.
Aber Big Ben hatte noch nicht acht geschlagen.
Callaghan kümmerte sich nicht
weiter um den Angesäuselten, sondern eilte weiter. Er verschwand am Ende der
Gasse.
Nummer 47 – das Haus, in dem Rope
wohnte.
Callaghan fühlte sein Herz schneller
schlagen, als er vor der Haustür stand. Er blickte an der blatternarbigen
Hauswand hoch, über die jemand einen Kübel Pech geschüttet zu haben schien. In
schmutziggrauen Verputzresten zeigten sich breite, schwarze Streifen, die der
Regen ausgewaschen hatte.
Die untere Wohnung lag in
völliger Dunkelheit.
Im ersten Stock war der kalte,
blaugraue Schein eines Fernsehgerätes zu sehen. Die dritte und vierte
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