0139 - Im Land des Vampirs
interessant. Wir schoben uns in den anderen Raum hinein, und Ziegler schloß schnell die Tür.
Ich merkte die unheimliche Atmosphäre, die hier herrschte. Ein leichter Schauer rann über meinen Rücken. Ja, ich kannte dieses Spiel. Wenn das Böse irgendwo lauerte, dann reagierten meine Nerven wie der Seismograph bei einem Erdbeben.
Ziegler schwang wieder die Lampe. Er berührte mit dem Lichtstrahl die rechte Seitenwand und schwenkte die Lampe dann an die gegenüberliegende.
Ich hatte zwar etwas gesehen, aber wenig.
»Noch mal!« forderte ich ihn auf.
»Ja, ja, ich wollte Ihnen ja nur einen kurzen Gesamteindruck verschaffen.« Er schwenkte den Arm wieder, und der Strahl traf die rechte Wandhälfte.
Etwa in Kopfhöhe war dort ein großes Holzregal befestigt. Auf dem Regal standen vier große Zehnliterflaschen. Sie hatten vorn einen Ausfluß, der jedoch mit einem Gummistopfen verschlossen war. Durch den Stopfen führte ein Röhrchen, an das sich ein schmaler Schlauch anschloß. Mit einer Metallklemme wurde er dicht gehalten.
Sämtliche vier Gefäße waren auf diese Art und Weise gesichert.
Es sollte nichts auslaufen.
Aber was konnte auslaufen?
»Wissen Sie, was darin ist?« fragte der Detektiv flüsternd und ließ den hellen Lichtfinger über die vier Gefäße wandern.
»Eine dunkle Flüssigkeit«, erwiderte ich.
»Genau. So dunkel wie…«
»Blut«, ergänzte ich.
»Richtig, Sinclair. Woher wissen Sie das?«
»Ich habe es beim Eintritt gerochen.«
»Okay. Und jetzt frage ich Sie, was die mit dem Blut wollen.«
»Keine Ahnung. Ich weiß doch nicht, wozu Tierblut bei der Kosmetik-Herstellung verwendet wird.«
»Das ist Menschenblut!« hauchte Ziegler.
»Wissen Sie das genau?«
»Ja.«
»Woher denn?«
»Ich selbst habe nachgeforscht. Ein paar Tropfen liegen auf dem Boden. Sie sind leider eingetrocknet, aber Sie können mir glauben, Sinclair, das hier ist kein Spaß.«
Ich nickte.
»Dann will ich Ihnen noch etwas zeigen, aber da müssen Sie allein gehen. Ich habe Angst.«
»Und was ist das?«
»Gehen Sie geradeaus. Bis Sie vor die Querwand kommen, und dort bleiben Sie stehen.«
Ich schaute mir den Knaben noch einmal an. Nein, er machte nicht den Eindruck, als würde er lügen. Bis jetzt hatte er Wort gehalten. Warum auch nicht weiterhin?
Ich schritt auf die Wand zu. Zurück blieb Ziegler mit seiner Lampe. Bald hüllte mich die Dunkelheit ein. Der Raum war doch größer, als ich angenommen hatte. Nach fünfzehn Schritten erst sah ich die Wand. Aber auch nur, weil sie rötlich leuchtete.
Ich runzelte die Stirn.
Eine leuchtende Wand? Brannte da vielleicht Licht? Ich mußte noch näher heran und stand nach weiteren fünf Schritten genau vor ihr. So nah, daß ich sie mit der Hand berühren konnte. Und schon zu nah, denn ich wollte sehen, was mit ihr los war, und trat deshalb einen Schritt zurück, um daran hochsehen zu können.
Das gelang mir auch.
Was ich da zu sehen bekam, ließ das Blut schneller durch meine Adern rauschen, und es bewies mir, daß der kleine Detektiv wirklich nicht gelogen hatte…
***
Die Wand bestand aus einem riesigen Mosaik. Ein Mosaik zeigt Muster, Motive, Menschen, Landschaften oder andere Abbildungen.
Das war auch hier der Fall.
Ich sah Menschen.
Frauen mit dunklen Haaren und großen Augen. Sie standen so, daß sie zu zwei Männern hochschauen konnten, von denen nur die Köpfe und die Schultern zu sehen waren.
Und diese Männer waren – Vampire!
Jawohl, Blutsauger.
Sie hatten ihre Lippen aufgerissen, und ich sah deutlich die spitzen Zähne.
Zwei Vampire, die auf dieser Mosaikwand abgebildet waren und gierig auf die Frauen schauten. Auf Frauen oder Mädchen, die eine altertümliche Kleidung trugen, wie sie vor einigen hundert Jahren modern gewesen war.
Diese Wand war ein Kunstwerk. Das Mosaik faszinierte mich.
Sehr deutlich stach es in seinen Farben hervor, obwohl das rote Leuchten mich leicht irritierte, denn ich sah keine Lichtquelle. Der Schein schien von innen her zu kommen, und das machte die ganze Sache sehr rätselhaft und geheimnisvoll.
Ich drehte mich um. »Ziegler!« rief ich. »Sind Sie noch da?«
»Ja«, kam die schwache Antwort.
»Wollen Sie nicht herkommen?« Vielleicht wußte er mehr über diese Wand.
»Nein, nein, ich bleibe hier.«
»Haben Sie Angst?«
»Klar.«
Ich konnte ihn sogar verstehen. Das Zittern in seiner Stimme war schließlich nicht zu überhören. Er hatte mich in dieses Gebäude geführt, und ich hatte das Geheimnis des
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