0144 - Alptraum in der Geisterbahn
Die Beretta war mit Silberkugeln geladen. Sollte diese Viola doch schießen.
Sie würde sich wundern…
»Aber er ist dein Bruder!« kreischte die Alte wieder.
»Eine Kugel kann ihn nicht töten!«
»Hast du es ausprobiert?«
»Nein, aber ich weiß es. Halte du dich daraus. Und kümmere dich um die anderen. Gib auf den Chinesen acht, er ist gefährlich. Und auch die Kleine hier darf uns nicht entkommen.« Mit der linken Hand holte Viola die zweite Beretta aus dem Gürtel und reichte sie ihrer Mutter. »Nimm die, dann kann dir nichts passieren.«
»Aber ich…«
»Nimm sie, verdammt!«
Die Dicke nahm die Waffe an sich. Sie verschwand fast in ihrer klobigen Hand. Die Frau drehte sich so, daß die Beretta auf den am Boden liegenden Suko zielte.
Viola wandte sich wieder mir zu. Ich hielt noch immer Ennio fest umklammert, der sich steif wie ein Brett gemacht hatte. Viola lächelte teuflisch, als sie sagte: »Glaube nur nicht, daß es mir etwas ausmacht, zu schießen, Bulle. Auch wenn Ennio die ersten beiden Kugeln mitbekommt, du kriegst die dritte.«
»Dann schieß«, sagte ich.
Ich hatte Mühe, die Worte klar und deutlich hervorzubringen, denn auch ich hatte Angst. Ich startete hier einen höllischen Bluff und wußte nicht, ob er gelingen würde.
Ennio bewegte sich wieder. Er strampelte mit den Beinen, traf mich auch am Schienbein, und ich verbiß mir den Schmerz.
»Keine Angst, Ennio«, sagte Viola. »Wir schaffen es!«
Ich schaute auf ihre Augen. Sie waren mit einem Ausdruck gefüllt, den man nur als Haß bezeichnen konnte.
Und dann sah ich das Flackern.
Jetzt würde sie abdrücken.
Da schleuderte ich Ennio hoch.
Im gleichen Augenblick peitschte der Schuß!
***
Ich sah noch das Aufblitzen des Mündungsfeuers und warf mich im nächsten Augenblick zur Seite. Ich rollte mich um die eigene Achse, hörte den Einschlag, ein Stöhnen und dann den gräßlichen Schrei.
Im nächsten Augenblick fiel der zweite Schuß. Die Kugel zupfte an meinen Nackenhaaren.
Dann vernahm ich hastige Schritte und einen wilden Fluch.
Ich sprang auf.
Ennio kniete.
Er hatte sich gedreht, und ich schaute genau in das blutige Gesicht. Die Augen hatte er weit aufgerissen, seine Hände hatte er dort verkrallt, wo ihn das geweihte Silbergeschoß getroffen hatte.
Dunkles Blut sickerte durch seine gespreizten Finger. Am schlimmsten aber sah das Gesicht aus. Es zerfiel immer mehr. Stärker strömte das Blut aus den Wunden, rann an seinem Hals entlang und wurde von der Kleidung aufgesaugt.
Ennio keuchte. Er stieß Laute aus, die mich an das Zischen einer Schlange erinnerten. Dann fiel er nach vorn, kippte zu Boden und blieb dort liegen, während seine Haare langsam grau wurden und einfach aus dem Kopf fielen.
Seine Mutter aber schrie auf.
Erst jetzt hatte sie sich von dem Schock erholt. »Mörderin!« gellte ihre Stimme. »Du hast ihn umgebracht, du Teufelsweib. Du hast meinen Sohn getötet!« Sie schrie die Worte Viola nach, die längst verschwunden war.
Dann erinnerte sie sich wieder an mich. Sie kreiselte herum und zielte auf mich.
»Du bist schuld!« keuchte sie. »Du allein! Verdammter Bulle!« Sie riß den Arm höher und drückte ab.
Ich ließ mich fallen.
Und ich hatte Glück, denn die Frau hatte wirklich noch nie geschossen.
Der Rückschlag riß ihr die Hand mit der Waffe hoch, die Kugel fuhr irgendwo in die Decke.
Bevor sie das zweite Mal abdrücken konnte, griff ein anderer ein.
Suko!
Seine Bewegungen waren noch langsam. Aber sie reichten aus, um dem Blatt eine Wende zu geben. Mit beiden Händen umklammerte er die Knöchel der Frau.
Ein heftiger Ruck.
Die Dicke taumelte. Sie blieb aber auf den Beinen, denn es war nicht so einfach, diese Masse Mensch zu bewegen.
Suko brauchte kein zweites Mal einzugreifen, denn ich übernahm die Initiative. Mit einem gewaltigen Sprung hechtete ich vor und prallte gegen den wandelnden Fleischberg.
Diesmal hatte die Frau der Wucht nichts mehr entgegenzusetzen. Sie wurde um die eigene Achse gewirbelt, verlor das Gleichgewicht und fiel zu Boden. Es klatschte, als sie aufschlug. Sie ruderte noch mit den Armen, doch es gelang ihr nicht mehr, auf die Beine zu kommen.
Dann war ich über ihr. Sie spie mir ins Gesicht, geiferte und tobte, wollte mir mit ihren Fingernägeln die Haut zerkratzen, doch ich faßte ihre Gelenke und bog sie zur Seite.
Da lag sie still.
Noch einen Griff, und ich hielt meine Beretta wieder in der Hand. Da hörte ich den Schrei.
»John!«
Verdammt, die
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