0156 - König der Druiden
Entropie-Veränderung hätte ihn mit absoluter Sicherheit getötet, wenn schon der mächtige Merlin so schwer angeschlagen war.
Zamorra steuerte wieder das Amulett. Ein silbriges Leuchten ging von ihm aus und hüllte den Professor und den Magier ein. Dann war es vorüber.
Sie befanden sich noch immer an der gleichen Stelle, an der sich einmal das Weltentor befunden hatte - aber in einer anderen Zeit. Sie waren in die Gegenwart zurückgekehrt.
Am Himmel strahlte die Morgensonne, und oben auf der Bergspitze - jetzt wieder unsichtbar - erhob sich Caermardhin.
Unerreichbar weit entfernt…
***
»Zamorra ruft«, sagte Teri Rheken plötzlich. »Ich spüre es. Er benutzt einen Verstärker und ruft um Hilfe. Er braucht Unterstützung.«
Gryf nickte. »Auch ich höre es«, erwiderte er. »Ich werde springen. Du mußt hierbleiben, weil ich Caermardhin kaum kenne.«
Im nächsten Moment machte er einen Schritt vorwärts und vollzog den zeitlosen Sprung, der ihn hinaus ins Tal führte. Bei Zamorra kam er an. Erschrocken starrte er auf den am Boden liegenden Merlin.
Mit raschen Worten erklärte Zamorra ihm, was vorgefallen war. Gryf nickte. »All right«, brummte er, ging in die Hocke und berührte Merlin. Seine andere griff nach Zamorra, und dann ließ er sich vornüberfallen, um die erforderliche Bewegung vorzunehmen.
Der zeitlose Sprung setzte ein und ließ sie zu dritt in Caermardhin materialisieren. Auf dem Hinweg hatte Merlin seine Druidenkraft für die Ortsversetzung benötigt, zurück mußte Gryf diesen Transport vornehmen.
Sie materialisierten in jenem Raum, in dem Nicole und Teri warteten. Zamorra und Gryf hoben den Weißhaarigen in einen weichen Sessel. Minutenlang saß Merlin darin mit geschlossenen Augen, und nur seine leicht bebenden Nasenflügel verrieten, daß er tief atmete.
Dann stemmte er sich mit äußerster Anstrengung hoch. Als Gryf ihn stützen wollte, winkte er ab.
»Dorthin, wohin ich jetzt gehen muß, kannst auch du mich nicht begleiten«, flüsterte er. »Ich muß mich regenerieren, ehe es zu spät ist. Ihr könnt in Caermardhin verweilen, solange es euch beliebt, doch meidet bestimmte, verbotene Gebiete und Räume. Teri kennt sie, fragt sie! Ich… muß jetzt gehen…«
Er wankte, taumelte davon wie ein Sterbender. Bestürzt sah Zamorra ihm nach, wie Merlin den Raum verließ. Lautlos schloß sich die Tür hinter ihm.
Mit einem Satz sprang Zamorra hinter ihm her.
»Nicht«, rief Teri ihm nach. Doch der Professor hatte die Tür bereits wieder aufgerissen und sah hinaus auf den Korridor.
Der war leer.
Merlin war spurlos verschwunden, als habe er sich in Luft aufgelöst.
***
Zamorra fühlte eine Hand auf seiner Schulter. Als er sich umwandte, sah er in das Gesicht der Druidin.
»Er ist gegangen«, sagte sie. »Merlin befindet sich immer noch in Caermardhin, falls das es ist, was dich interessiert. Aber er hält sich an einem Ort auf, an dem ihn niemand jemals erreichen und stören kann. Und das ist wichtig. Denn er muß seine Kräfte regenerieren. Es kann Tage oder Wochen dauern. Als er im Sessel saß, vorhin, hatte ich telepathischen Kontakt mit ihm. Der Energieschock der Entropie-Veränderung hat ihm fast alle Kräfte entzogen. Im Moment ist Merlin ein wandelnder Toter.«
Sie löste sich von ihm. »Wir sind seine Gäste«, fuhr sie fort. »Ich nehme an, daß wir alle noch ein wenig in Caermardhin verweilen werden.«
»Vielleicht«, erwiderte Zamorra und schloß Nicole in die Arme. Über Gryfs Gesicht flog ein unverschämt jungenhaftes Grinsen. Er faßte nach der Hand der Druidin. »Teri, ich habe eine Idee! Irgendwo in diesem Gemäuer muß der olle Merlin doch eine Briefmarkensammlung versteckt haben, die ich dir gerne zeigen möchte…«
»Nimm dir nicht zuviel vor, mein Lieber«, warnte Teri, die plötzlich die Initiative ergriff und Gryf mit sich zog. Doch dessen Überraschung währte nicht lange. Schmunzelnd verfolgten Nicole und Zamorra, wie er bereits in der Tür begann, das goldhaarige Mädchen aus dem sparsam ausgefallenen Tugendhüter zu schälen.
»Er hat sich, seit ich ihn kenne, nicht verändert«, lächelte Zamorra. »Immer noch derselbe verrückte Windhund wie früher. Den erschüttert einfach nichts.«
Nicole beugte sich vor und küßte ihn. Seine Hand glitt sanft durch ihr Haar.
»Und irgendwann«, sagte er leise, »wird auch Merlin wieder das sein, was er bis zu diesem Tag war. Irgendwann…«
Aber bis dahin hatten sie Zeit. Viel Zeit füreinander…
ENDE
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