016 - 30 Meilen unter dem Meer
Fauchen und den Namen
»Amoog!« hören.
Darauf wich das kräftige Biest wieder zurück, sichtlich widerwillig jedoch. Aus geschmälten Augen funkelte es seinen König an und wagte sogar aufzumucken; so jedenfalls deutete Matt die heiseren Laute, die dieser Amoog ausstieß.
Tarman schien sie nicht einmal wirklich wahrzunehmen. Seine ganze Aufmerksamkeit galt Aruula und Gurk. Die Barbarin stand vor dem Gnom, hatte ihm den Rücken zugewandt. Die Hände waren ihr nach hinten gebunden worden, und jetzt nestelte sie blind und entsprechend mühsam am Ausschnitt von Gurks Mantel herum, bis sie endlich mit spitzen Fingern das goldene Kruzifix hervorgezerrt hatte, das der Gnom um den Hals trug.
Matt verstand, was Gurk damit bezweckte. Weiß Gott ein verzweifelter Versuch.
Unglücklicherweise aber wohl auch der letzte Strohhalm, der ihnen noch blieb…
Gespannt beobachteten er und Aruula, wie Tarman auf den Anblick reagierte.
Wie ein - Tier…
Er rutschte von seinem Thron aus zerschlissenen Zugpolstern, ließ sich auf alle Viere nieder und kroch auf seinen Vater zu.
Langsam und vorsichtig, mit schief gelegtem Kopf. Schnüffelte wie ein Hund, der Witterung aufnahm.
Dann nahm er das goldene Kreuz genauer in Augenschein. Bewegte den Kopf nach links, nach rechts. Schnüffelte wieder.
Und schließlich hob er den Blick, sah Gurk ins Gesicht und brachte stockend ein einzelnes Wort hervor. »Ma… ma…?«
Die Situation hätte komisch sein können.
Unter anderen Umständen. Und hätten sie, Matt und Aruula, nicht mittendrin gesteckt!
Unter den Taratzen ringsum breitete sich fiebrige Unruhe aus. Ein zischelndes Raunen hob an.
Gurk begann von neuem, auf seinen Sohn einzureden. Und diesmal hörte ihm sein entarteter Sprössling zu, mit wachsender Aufmerksamkeit.
***
###
Tarman spürte, wie etwas in ihm bröckelte. Wie die Last langer Zeit mürbe wurde. Wie sich Risse zeigten in dem, was sein Leben gewesen war. Risse, die breiter und tiefer wurden. Seine Gedanken eilten zurück, immer weiter, immer schneller. Sein Leben zog an ihm vorüber, rasend schnell, und doch sah er jedes Bild klar und deutlich.
Er entsann sich der Tage, da er unter den Taratzen aufwuchs und sie überflügelte mit seinen Fähigkeiten. Wie sie sich seiner Führung anvertraut hatten…
Und dann war ihm, als bräche eine uralte Wunde auf. Und daraus strömte - die Wahrheit…
Etwas geschah. Änderte sich. Unsichtbar. Die Spannung, die über ihnen allen lag, wurde eine andere, und niemand blieb davon ausgenommen; jeder spürte es.
Tarman erhob sich und wandte sich an Amoog. Er zischte etwas, in eindeutig befehlendem Ton. Dabei wies er auf die drei Gefangenen.
Matt vermutete, dass Gurk junior der Taratze befahl, die Fesseln zu lösen.
Amoog schüttelte den Kopf. Fauchte. Speichel flog von seinen Lefzen.
Tarman wiederholte seine Weisung. Amoog protestierte lauter und machte nach wie vor keine Anstalten zu tun, was sein König von ihm verlangte.
Auch um sie her wurde das Fauchen und Fiepen lauter.
Tarman knurrte etwas. Ballte die Fäuste, stand aber ansonsten reglos.
An seinen Schläfen schwollen die Adern zu beinahe fingerdicken und dunklen Strängen.
Und dann merkte Matt, wie die Seile um seine Hand- und Fußgelenke kurzerhand zerrissen! Auch Gurk und Aruula kamen auf die gleiche unerklärliche Weise frei.
Amoog und der andere Wächter rückten unvermittelt näher. Die Taratzen draußen drängten gegen das Zugwrack und brachten es zum Wanken.
Mit lauter Stimme befahl Tarman seiner Horde zurückzuweichen. Einige gehorchten ihm, nur ein paar. Die anderen hielten inne. Und aller Augen richteten sich auf Amoog.
Matt konnte sich die Hintergründe nur zusammenreimen. Aber er nahm an, dass er mit seinen Vermutungen richtig lag.
Dieser Amoog hegte wohl schon seit längerem einen Groll gegen Tarman.
Vielleicht gab es dafür einen expliziten Grund, vielleicht lag es einfach nur daran, dass Tarman keine Taratze war und dennoch zum Führer der Horde aufgestiegen war.
Wie auch immer - jetzt hielt Amoog seine Stunde offenbar für gekommen!
Jetzt konnte er das Ruder herumreißen, die Macht ergreifen, die Meute auf seine Seite ziehen und gegen den König aufhetzen.
Eine Revolution unter den Taratzen stand an!
Matt Drax seufzte innerlich und wünschte sich ganz weit weg. Vergebens natürlich.
Noch kippte die Stimmung nicht, weder zu Tarmans noch zu Amoogs Gunsten. Aber es konnte nur noch eine Frage kürzester Zeit sein, bis es so weit war.
Matt
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