016 - 30 Meilen unter dem Meer
eher halbherzigen Versuchen, sich daraus zu befreien, die Gelenke blutig scheuerte. Winzige Dornen waren in die Seile eingearbeitet, die ihm wie Zähne in die Haut bissen.
Zwei Taratzen schleiften ihn durch eine weitläufige Halle. Wie auch der Tunnel wurde dieser Saal von phosphoreszierenden Pilzgewächsen und Moosen in diffuses, unwirkliches Licht getaucht, dazu brannten weit verstreut ein paar Feuer. Teile dieser offensichtlich nicht natürlichen Höhle blieben im Finstern, aber ihr Herzstück erkannte Matt doch.
Es war ein - Zug.
Das Wrack eines jener Züge, die dereinst zwischen der britischen Insel und dem Festland verkehrt waren. Bullet Trains hatte man diese Züge damals genannt, ihrer Geschwindigkeit wegen.
Dieser Zug sah eher aus, als sei er unter massivsten »Bullet«-Beschuss geraten - verbeult, die Fenster zum Großteil zersplittert, die Räder aus der Schienenführung geraten, lag er gekrümmt wie eine tote Riesenschlange aus Metall da.
Die beiden Taratzen trugen ihren Gefangenen zum Zug und bugsierten ihn unsanft durch eine der offen stehenden Türen ins Innere, dann schleppten sie ihn weiter in Richtung des hinteren Endes der Wagonschlange. Matt musste sich zusammenreißen, um sich nicht zu übergeben.
Es stank bestialisch. Nach Kot und Urin und noch übler.
Im letzten Abteil des Zuges ließ man ihn kurzerhand zu Boden fallen. Der Aufprall fachte den pochenden Schmerz hinter seiner Stirn zu neuer Gewalt an und brachte seine Gedanken sekundenlang aus ihrer Bahn.
Mit geschlossenen Augen konzentrierte sich Matt darauf, den Schmerz zu bezwingen, was ihm leidlich gelang. Dann öffnete er die Lider und sah sich um, so gut es in seiner bescheidenen Lage eben ging.
Dieses Abteil des Zugwracks war - wenn man seine Fantasie spielen ließ - durchaus wohnlich eingerichtet. Es gab eine zusammengeschusterte sesselartige Sitzgelegenheit, die etwas erhöht stand; vermutlich ein Thron. Matt schloss daraus, dass hier der König dieser Taratzenhorde residierte.
Er kannte sich ein klein wenig aus, was soziale Ordnung und sonstige Gepflogenheiten der Riesenratten anging. Zum einen aus eigener Erfahrung mit dem Taratzenkönig Braar, [4] zum anderen hatte ihm Aruula manches erzählt.
Diese Ungeheuer waren keine bloßen Tiere. Sie verfügten über eine primitive Art von Intelligenz, und Einzelne waren sogar in der Lage, sich in der menschlichen Sprache zu verständigen, wenn auch nur gebrochen.
Matt schaute auf und die größere der beiden Taratzen, die ihn ergebracht hatten, an.
»Du«, sagte er in der Sprache der Wandernden Völker, »bist du der König?«
Die Taratze, die ihren Kompagnon um gute Haupteslänge überragte, beugte sich etwas vor. Funkelte Matt aus schwarzen Knopfaugen an.
Fletschte die Zähne. Geifer troff auf ihn herab.
Das Biest fauchte etwas, das ganz sicher Worte in der Taratzensprache waren. Matt verstand kein Wort. Es klang wie: »Aamoog!«, durchsetzt mit heiseren, kehligen Lauten.
Unmissverständlich war dagegen der Hieb, den er kassierte. Wie eine Peitsche fuhr der dünn behaarte Taratzenschwanz auf ihn nieder und schlug ihm klatschend gegen die Brust.
Es brannte wie Feuer. Matt krümmte sich, biss die Zähne zusammen, bis der Schmerz verebbte.
Er verkniff sich jeden weiteren Kommunikationsversuch. Stattdessen ließ er den Blick weiter schweifen, vermied aber tunlichst jede hastige Bewegung, um die Taratze nicht zu einer weiteren Reaktion solcher Art hinzureißen.
Was bewog diese Horde, sich ausgerechnet hier unten einzunisten, tief unter dem Meer, abseits der Welt - und damit fern von ergiebigeren Jagdgründen? überlegte Matt.
Sicher, es gab Beutetiere hier unten. Eine Art davon hatte Matt schließlich selbst kennen gelernt, die Eeg. Aber ihre Zahl musste begrenzt sein. Außerhalb des Tunnels hätten die Taratzen es gewiss leichter gehabt, Nahrung zu finden - Menschen zum Beispiel, die bekanntermaßen ganz oben auf dem Speiseplan dieser Spezies standen…
Irgendetwas stimmte nicht mit dieser Meute. Das spürte Matt ganz einfach, mit einem Sinn vielleicht, den er früher nicht besessen hatte. Der sich erst in den vergangenen Monaten nach und nach zu entwickeln begonnen hatte. Eine Art Instinkt, auf den die Menschen in der zivilisierten Welt des 20. und
21. Jahrhunderts hatten verzichten können, der in dieser Welt jedoch so etwas wie eine natürliche Lebensversicherung sein konnte.
Was hielt die Ungeheuer in dieser Tiefe und Dunkelheit?
Matt Drax sah sich vorsichtig weiter
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