016 - Frascati mal zwei
verstand, dessen Sinn ihm jedoch kaum entgehen konnte. Er setzte sein einfältigstes Lächeln auf und läutete erneut.
»Essen auf Rädern! Spaghetti Pomodoro, Spaghetti Bolognese, Spaghetti Carbonara, Spaghetti Mare, Spaghetti Canale Grande, Risotto Mare, Rigatoni al forno, Rigatoni alla …«
»… Rabiata!«, knurrte die Wache und zielte mit dem Schocker genau zwischen die Augen des Überlebensspezialisten.
Nun bremste der Asiate ab und kam knappe zwei Meter vor dem Schwarzgekleideten zum Stehen. Er warf einen Blick auf seinen Zettel mit der Lautschrift. »Ich spreche nicht gut Italienisch; bin Gastarbeiter aus Hongkong«, las er mit einem grauenhaften Akzent ab.
Wieder sagte die Wache etwas, das er nicht verstand. Durch Gesten bedeutete er den beiden, dass er weiterfahren wolle, was diese jedoch lediglich mit stummem Kopfschütteln quittierten. Auch der zweite Mann hob nun den Schocker und zielte auf ihn.
›Jackie‹ Chan machte eine abwehrend Handbewegung. »Na, dann eben nicht«, sagte er auf Chinesisch, da die italienische Übersetzung dieser Worte nicht auf seinem Spickzettel stand. Dann fuhr er fort, indem er die nächsten drei Worte auf Italienisch radebrechte: »Ich immer sagen: Timeo danaos et dona ferentes! « Wie gewohnt stieß er den lateinischen Satz in voller Lautstärke hinaus. Er wendete den Wagen und wollte eben Gas geben, als er eine nicht allzu weit entfernte Stimme in englischer Sprache rufen hörte: » Hier habt ihr euren ungenießbaren Fraß! So etwas Mieses habe ich ja seit Troja nicht mehr angeboten bekommen!« Ein metallisches Klappern und einige italienische Flüche folgten diesen Worten.
Um ein Haar hätte der Überlebensspezialist wieder abgebremst, so überrascht wurde er durch diese Antwort. Nicht im Traum hatte er damit gerechnet, jetzt und hier ein Lebenszeichen Frascatis zu finden! Doch er bewahrte seine Kaltblütigkeit und fuhr ungehindert weiter, weg von den beiden Wachen.
Trotzdem war er froh darüber, dass sein Gesicht im entscheidenden Moment bereits von den beiden Männern abgewandt war. Das triumphierende Leuchten, das bei Frascatis Worten darüber geflogen war, hätte ihn mit einiger Wahrscheinlichkeit verraten.
11.
Zum wiederholten Mal warf Lino Frascati einen Blick auf die Uhr.
Montag, 1. Oktober 2063, 19:12 Detroiter Ortszeit …
Nur noch achtundvierzig Minuten!
Der Konzernchef saß in seinem Büro im ›Mech-Tower‹. Draußen tobte ein verfrühter Herbststurm und die Dunkelheit war bereits hereingebrochen. Die einzige Beleuchtung in dem Raum bildete der Schirm des Schreibtischcomputers, der sein Gesicht in ein gespenstisch kaltes Licht tauchte und seine verzerrte Silhouette überlebensgroß an die Wand warf.
Stunden saß er bereits so da.
Stunden, in denen er sein ganzes Leben hatte Revue passieren lassen, all die kleinen und großen Freuden und die kleinen und großen Niederlagen, die jeder Mensch im Laufe seines Lebens erfährt – und auch bewältigen muss.
Seine Kindheit und Schulzeit in New York …
Sein Eintritt in den sich damals gerade formierenden Mechanics-Konzern, der zeit seines Lebens sein einziger Arbeitgeber bleiben sollte …
Seine erste Begegnung mit Margret … und seine letzte.
Der weiße Konzertflügel im Wohnzimmer der Villa am See … und das Kreuz auf der Landzunge.
Margret!
Erneut überkam ihn ein Gefühl, als ob jemand über sein Grab liefe.
Eine Todesahnung.
Ihn fröstelte.
Der Summer des Interkoms ertönte. Automatisch, beinahe ohne sein Zutun, betätigte seine rechte Hand eine Taste. »Ich möchte nicht gestört werden«, sagte er tonlos.
Das Gesicht von Alphonse de Anjou, seinem Stellvertreter, erschien auf dem Bildschirm. »Es tut mir leid, aber es geht um die morgige Konferenz mit dem Star Gate-Entwicklungsteam. In Abwesenheit der Chefwissenschaftler Holmes und von Wylbert …«
»Auf welchen Zeitpunkt ist die Konferenz angesetzt?«, fiel ihm Frascati ins Wort.
»Neun Uhr morgens.«
»Gut, dann treffen wir uns beide um acht Uhr in meinem Büro und besprechen alles Weitere. Okay?«
De Anjou öffnete den Mund zu einer Erwiderung, überlegte es sich aber nach einem Blick in das Gesicht des Konzernchefs anders und nickte stumm. Sein Abbild erlosch.
Frascati stieß die Luft aus den Lungen, schloss die Augen und rieb sich die Schläfen. Wie von unsichtbaren Fäden geleitet glitten seine Hände weiter, zur Oberseite seines Kopfes.
Zu der Stelle, unter der der Mikrochip saß.
Er durfte nicht aufgeben!
Es
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