016 - Frascati mal zwei
hatten, schmolz ihr Abstand zu den Damen rasch zusammen. Während sie ihre Schritte, die eher Sprünge waren, verlangsamten, beobachteten sie die alten Damen bei ihren ersten Gehversuchen auf dem Erdtrabanten und konnten sich dabei das Lachen nur schwer verkneifen.
»Ethelgret, sieh mal, ich schwebe!«, stieß eine spindeldürre Mittneunzigerin hervor und ließ den Worten ein mädchenhaftes Kichern folgen, das gar nicht zu ihrer Grabesstimme passen wollte. Erneut stieß sie sich mit Hilfe ihres diamantenbesetzten Elfenbeinstocks vom Boden ab und legte eine Strecke von mehreren Metern in der Luft zurück. Dieses unerwartete Kunststück löste nicht nur allgemeines Gackern, sondern auch den Nachahmungstrieb der anderen Damen aus und so hüpften alsbald alle Neuangekommenen durcheinander, wobei Kollisionen nicht ganz vermieden werden konnten.
»Meine Damen, ich muss doch bitten!«, mahnte der jugendliche Reiseführer, der der Gruppe voranging. Doch seine Worte gingen in dem allgemeinen Trubel unter.
»Ich fühle mich, als wäre ich zwanzig Jahre jünger«, erkannte eine andere Uroma und schwang ihren Gehwagen mit einer Hand durch die Luft.
»Dann wärst du jetzt fünfundachtzig und solltest solche Spaße bleibenlassen«, fauchte sie die neben ihr Hüpfende an, die dem herumwirbelnden Gerät gerade noch hatte ausweichen können.
Haiko Chan und Don Jaime warteten noch, bis der am Ende völlig entnervte Reiseleiter alle fünfunddreißig Damen in den Shuttlegleiter verfrachtet hatte und machten sich dann zu Fuß auf den Weg in das wenige hundert Meter entfernte Hotel.
Als sie dort anlangten, hatten sie zunächst Probleme, überhaupt in das Foyer zu gelangen. Einige der Damen hatte es sich auf breiten Ledersesseln und Sofas bequem gemacht und andere standen herum und unterhielten sich oder lasen die Tafeln, auf denen Ausflugsprogramme und andere Gruppenaktivitäten angekündigt waren. Eine vielleicht neunzigjährige Frau mit einem Eulengesicht, das von einer dazu passenden Nase verziert wurde und die noch erstaunlich rüstig schien für ihr Alter, stand vor dem untersetzten Manager des Luxushotels, den sie beinahe um einen Kopf überragte und bohrte ihm gerade einen knochendürren Zeigefinger in die Brust.
»Guter Mann«, schnarrte sie, »können Sie mich vielleicht mal aufklären: Wo ist hier das Meer?«
»D-d-das Meer?«, stotterte der verblüffte Manager. Sein langer Ziegenbart – von den buschigen schwarzen Augenbrauen abgesehen der einzige Haarwuchs auf seinem Schädel – zitterte aufgeregt.
»Das Meer!«, bestätigte die resolute Dame. Sie zog die Hand zurück, legte sie um eine vierreihige Perlenkette, die ihr fast bis auf Nabelhöhe herunterhing und begann, deren untere Hälfte in kreisende Bewegungen zu versetzen. »Ich habe ausdrücklich eine Suite mit Meerblick bestellt! Meine fünf Männer – Gott habe sie selig! – und ich haben das bei jedem Urlaub so gehalten, ganz egal, wohin wir auch gereist sind! Was sollen denn meine Freundinnen von mir denken, wenn ich keine Suite mit Meerblick bekomme?« Sie ließ davon ab, die Perlenkette herum zu schwingen und stieß den Manager wieder vor die Brust. »Also?«
Der Mann – Haiko Chan erinnerte sich, dass sein Name Matt Schuster lautete – kratzte sich nachdenklich am Ohr. »Das Meer … Tja, also …« Seine Augen irrten durch das Foyer, nach einer Rettungsmöglichkeit flehend. Als sie den Überlebensspezialisten streiften, machte dieser mit todernster Miene eine Geste mit dem Kopf in Richtung des Hintergrundes, wo eines der titanischen Fenster der Kuppel sichtbar war. Er musste die Geste noch zweimal wiederholen, bevor der verzweifelte Manager endlich verstand.
»Das Meer …« Plötzlich leuchtete Schusters Gesicht auf. »Gute Frau, Sie werden begeistert sein! Ich kann Ihnen hoch und heilig versichern, dass Sie von Ihrer Suite aus einen phantastischen Ausblick auf das Mare Imbrium haben werden!«
Die Eule kniff ein Auge zusammen. »Sind Sie sicher?«
Der Manager nickte heftig. »Todsicher!«
»Nun gut – Ihr Glück! Aber wagen Sie es ja nicht noch einmal, mich ›gute Frau‹ zu titulieren, sonst werden Sie was erleben, guter Mann!« Sprach’s und schwebte von dannen.
Der Manager wischte sich den Schweiß von der Stirn und warf Haiko Chan einen dankbaren Blick zu. Dann wurde er wieder abgelenkt, denn einer der Rezeptionisten, der gerade ein Interkomgespräch geführt hatte, eilte auf ihn zu und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Der
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