0160 - Der Spiegel des Grauens
Allesfresser - und das keineswegs in biologischem, sondern in physikalischem Sinne. Man hatte sie Steine verzehren sehen. Energie aller Formen schien ihnen eine willkommene Art der Nahrung zu sein. Es war klar, daß ihr Stoffwechselsystem keineswegs nach den Normen der Galaktobiologie funktionierte.
Das zusammengenommen mit dem eilig abgebauten Erzvorkommen, fand Joel, ergab ein entmutigendes Bild. Auf einmal hatte er es eilig. Er schoß über den Rand des Loches hinaus, bog die Achse der Tragschraube und kam zwischen Nino Lamarre und Jaycie Ridell zu Boden.
Er berichtete, was er gesehen hatte, Er erklärte auch, welche Schlußfolgerungen er gezogen hatte. Pitter Laurensen widersprach ihm sofort.
„Was wollen Sie damit andeuten? fragte er. „Daß es in diesem Universum Wesen gibt, ich meine materielle Wesen, die aus jeder beliebigen Materie Körperenergie erzeugen können?"
„Wenn Sie eine bessere Erklärung dafür wissen, warum die Hornschrecken alles fressen, dann sagen Sie es", meinte Joel unwillig. Die anderen schwiegen. Nur zufällig schaute Joel zu Jaycie Ridell. Er bemerkte, wie sie sich umsah.
„Wenn niemand etwas zu sagen hat", begann sie schließlich, „dann möchte ich darauf hinweisen, daß sich durch Captain Carsos Entdeckung ganz neue Aspekte ergeben."
Alle sahen sie an.
„Eisen", fuhr Jaycie ohne Zögern fort, „gehört zu den stabilsten Stoffen dieser Welt. Trägt man die Bindungsenergie pro Nukleon über der Ordnungszahl der Elemente auf, dann findet man, daß diese Kurve in der Gegend von Eisen und Kobalt ein Maximum hat. Wenn nun die Hornschrecken, die bekanntlich alle Arten von Materie verwerten können, hier ganz eindeutig nur das eisenhaltige Erz in sich aufgenommen haben, während sie den umliegenden Fels unberührt ließen, dann kann man daraus nur den Schluß ziehen, daß Eisen für sie eine ganz besondere Art der Nahrung, sozusagen eine Delikatesse darstellt.".
Sie hatte flüssig und mit Begeisterung gesprochen, Joel musterte sie erstaunt. Jaycie stand da, mit leuchtenden Augen und so selbstbewußt, wie sie noch niemand gesehen hatte.
„Sie ziehen das", bemerkte Pitter Laurensen nach kurzem Zögern, „aus einer einmaligen Beobachtung einen ziemlich gewagten Schluß. Wie sollten die Hornschrecken in der Lage sein, die kernphysikalische Stabilität des Eisens zu erkennen?"
„Woher weiß ein Eichhörnchen, daß gerade Nüsse die Vitamine enthalten, die es für seinen Körper braucht, nicht aber Fleisch? Dazu ist keine tiefere Kenntnis der organischen Chemie notwendig, nicht wahr?" Pitter kniff die Lippen noch schmaler zusammen und schwieg von da an.
Aus einem Grund, den Joel nicht verstand, schienen Jaycies Ausführungen Barbara und Nino in höchstes Erstaunen versetzt zu haben. Nur Fran Jorgens lächelte noch dasselbe Lächeln, das man seit dem Tod seines Bruders an ihm gewöhnt war.
„Sie meinen...", stotterte Barbara, „ ... daß der Stoffwechselprozeß der Hornschrecken gar nicht auf chemischer Basis vor sich geht?"
Jaycie war plötzlich die selbstsicherste Frau der Welt.
„Das scheint auf der Hand zu liegen, nicht wahr?"
„Dann ... Sie glauben ..." Jaycie kam ihr zur Hilfe.
„Ja, ich bin ziemlich sicher, daß die Hornschrecken die Energie, die sie brauchen, aus den Atomkernen, nicht aus den Elektronenhüllen beziehen."
Joel wandte sich an sie.
„Moment mal. Hat das für uns selbst irgendeine tiefgreifende Bedeutung?"
Jaycie strahlte ihn an.
„Einer meiner Lehrer pflegte zu sagen: Die Chemie ist die Wissenschaft der Elektronenvolts, die Kernphysik aber die der Megaelektronenvolts."
„Na schön", gab Joel zu. „Und was weiter?"
„Sie erinnern sich, daß wir vorhin über den Energiegehalt der Molkex-Masse sprachen? Wir nahmen an, daß in der Molkex-Schicht der größte Teil der chemischen Energie inkorporiert sei, die es früher in Form von Pflanzen auf Zannmalon gegeben hat?"
„Ja", sagte Joel.
„Wir müssen unsere Überschlagsberechnung korrigieren. Wenn der Metabolismus der Hornschrecken in den Kern der Atome eingreift, dann ist die Nullpunktenergie dieser Hypermaterie noch eine Million mal größer, als wir angenommen hatten."
Joels Gedanken begannen zu schwimmen. Jaycie sah seine Ratlosigkeit und ergänzte: „Es könnte einen Prozeß geben, der die Hypermaterie der Molkex-Schicht wieder in normale Materie zurückverwandelt, nicht wahr? Dabei würde alle Energie freigesetzt, die das Molkex in sich aufgespeichert hat."
Joel nickte, als die
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