0166 - Das Werwolf-Mädchen
bildete sich langsam, aber sicher, die Überzeugung, daß der Inspektor einem Irrtum zum Opfer gefallen war.
Endlich regte sich das Mädchen. Die ganze Zeit über hatte sich Arlais nicht von der Stelle gerührt und sie unausgesetzt beobachtet. Er konnte sich einfach nicht an ihr sattsehen.
Der Teufel mußte ihn reiten, als er sie jetzt anrief. »Mademoiselle!«
Die Erwachende öffnete die Augen. Seltsame Augen, die ihn auf Anhieb fesselten. Mehr denn je war er überzeugt, daß sie nur durch einen Justizirrtum verhaftet worden war.
Sie reckte sich wie eine Katze und sah dann zu ihm herüber. Ihre Stirn furchte sich, als sie die Tür und die geöffnete Sichtluke sah.
»Wo bin ich hier?«
»Im Polizeigefängnis von Ploumanac’h«, erklärte er. »Verzeihen Sie, Mademoiselle, aber ich bin daran unschuldig, so wie ich auch Sie für unschuldig halte.«
Sie setzte sich in einer geschmeidigen, fließenden Bewegung auf. Mit einer Hand strich sie durch ihr lang fallendes, weiches Haar. »Wie komme ich hierher?« fragte sie.
Arlais hüstelte. »Inspektor Yardin brachte Sie hierher und trug mir auf, Sie zu bewachen.«
»Yardin heißt der Kerl also«, murmelte das Mädchen. »Yardin…«
Sergeant Arlais nickte heftig.
Die Weißblonde erhob sich jetzt und sah an sich herunter. »Immerhin besser als gar nichts«, hörte er sie murmeln. »Aber neueste Mode ist das Ding auch nicht.«
Sie kam zur Tür, direkt auf ihn zu, und sah ihn durch die Sichtluke an.
Er sah leuchtende Augen und wußte nicht, wie ihm geschah. Plötzlich faßte er seinen Entschluß.
»Komm«, lockte das Mädchen. »Komm zu mir…«
Ihm wurde es warm. Seine Hand suchte nach dem Zellenschlüssel, ohne daß ihm wirklich bewußt wurde, was er tat. Von einem Moment zum anderen wuchs das Verlangen in ihm. Der Schlüssel stieß in die Schloßöffnung und wurde gedreht.
Er stieß die Tür leicht auf.
Dahinter wartete das Mädchen mit den lockenden Augen. Er breitete die Arme aus.
Irgendwo tief in seinem Unterbewußtsein gab es etwas, das ihm eine Warnung zuschrie. Aber er überhörte das Signal. Er umschloß das Mädchen mit seinen Armen, um es zu küssen. Näher und näher kam ihr Gesicht dem seinen.
Ihre Lippen fanden sich.
Wie ein elektrischer Schlag durchfuhr es ihn. Er genoß diese Sekunde.
Aber von einem Moment zum anderen wurde alles anders.
Er spürte, wie ihre Lippen sich unter seiner Berührung veränderten, hart wurden. Eine spitze Schnauze zeigte sich ihm.
Entsetzt riß er die Augen auf.
Ein Wolfsschädel starrte ihm entgegen!
Klappte die Schnauze auf!
Er stieß einen erstickten Schrei aus. Das durfte nicht wahr sein! Er träumte! Ein Alptraum, wie er schlimmer nicht sein konnte. Denn wie sonst sollte der abscheuliche, drohende Wolfskopf auf die sanft gerundeten Schultern eines zauberhaften Mädchens kommen?
Er glaubte noch an einen Alptraum, als der Werwolf zubiß und er innerhalb weniger Augenblicke starb.
***
Der einsame Wolf hatte sein Ziel erreicht. Vor ihm ragte das Gebäude auf, in welchem Polizeiwache und Gefängnis untergebracht war. Niemand hatte den Wolf auf seinem nächtlichen Weg gesehen. In einer geradezu dörflichen Atmosphäre ging man früh zu Bett, trieb sich aber zumindest nicht zu später Nachtstunde noch draußen herum. Nur wenige stadtbekannte Ausnahmen wagten es, nach Mitternacht das Gasthaus zu verlassen und abwechselnd patriotische und unanständige Lieder abzusingen.
Der Wolf sah sich nach allen Seiten um, dann schlich er sich auf die Eingangstür zu. Sie sah verschlossen aus, aber ein leichter Druck ließ das Schloß aufspringen. Als sei es völlig normal, spazierte der Wolf hinein.
Drinnen orientierte er sich wieder. Die Wachstube war unbesetzt. Aber wenn die Tür offen war, mußte irgendwo ein Beamter sein. Vielleicht erledigte er gerade eine allzu menschliche Angelegenheit.
Aber wo war die Herrin?
Der Ruf ertönte unausgesetzt in seinem Gehirn. Er würde so lange ertönen, bis der Wolf sein Ziel erreicht hatte.
Aber noch ehe er sich auf die zeitraubende Durchsuchung des ganzen Gebäudes machen konnte, öffnete sich eine Tür.
Im ersten Moment duckte er sich zum Angriffs-Sprung, gewärtig, dem Nachtdienst-Beamten gegenüberzustehen. Doch dann entspannte er sich wieder.
Die Herrin war eingetreten!
Sie war frei!
Yakka/Winter machte fast einen Luftsprung. Die Freude überwältigte ihn fast. Er preßte seine Flanke zärtlich an die Beine der Herrin, die auf ihrem Zweibeinerkörper einen Wolfskopf
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