0166 - Das Werwolf-Mädchen
Polizeigewahrsam. Morgen ist auch noch ein Tag, an dem du deiner Forscher-Leidenschaft frönen kannst.«
»Na schön«, lenkte Zamorra ein. Mittlerweile tauchte das Gebäude vor ihnen auf, in dem Polizeiwache und Gefängnis untergebracht waren. Ploumanac’h war ein relativ kleiner Ort, in dem möglichst viel möglichst zentral und möglichst praktisch angelegt war.
»Endstation«, erklärte Yardin. »Kommt, laden wir unsere lebende Fracht aus.«
Sie brachten das Werwolf-Girl in eine Einzelzelle.
Vielleicht rettete diese Entscheidung ihnen das Leben…
***
Der einsame Wolf war dem Wagen gefolgt. Yardin war diesmal nicht sonderlich schnell gefahren, und der Wolf legte eine gradezu erstaunliche Geschwindigkeit vor. Seine feine Nase nahm noch lange Zeit die Witterung der Reifen auf. Und als sich die Spur verlor, half ihm seine menschliche Intelligenz weiter.
Er hatte sich als Harry Winter lange genug in Ploumanac’h aufgehalten, um sich zumindest einigermaßen oberflächlich auszukennen. Sein in langen Jahren in Sibirien geschärfter Orientierungssinn verhalf ihm dazu.
Der Wolf verharrte und begann zu überlegen. Es gab zwei Möglichkeiten. Entweder brachten die Zweibeiner die Herrin in Polizeigewahrsam, oder sie brachten sie zu sich.
Wo sich die Polizeistation befand, wußte der Wolf durch seine Harry Winter-Erinnerung. Bei allem anderen tappte er im Dunkeln.
Er wußte nicht, wie die Zweibeiner hießen. Hätte er es gewußt, wäre es ihm ein Leichtes gewesen, ihren Aufenthaltsort festzustellen. Er hätte eine Telefonzelle aufgebrochen und mit seinen Wolfspfoten mühevoll, aber erfolgreich im Fernsprech Verzeichnis nachgesehen. Auch als Wolf konnte er lesen, und er fühlte sich durchaus in der Lage, ein paar dünne Buchseiten umzublättern!
Aber er kannte die Namen nicht.
Er zögerte und suchte nach einer anderen Möglichkeit. Die Spur selbst hatte sich verloren. Er versuchte sich das Gesicht des Zweibeiners im Auto ins Gedächtnis zurückzurufen. Deutlich sah er es vor sich. Er durchforschte seine Erinnerung, ob er diesen Zweibeiner früher einmal irgendwo gesheen hatte. Aber er kam nicht darauf. Der Zweibeiner war ein Unbekannter.
Der Wolf stieß ein verärgertes Knurren aus.
Doch dann - bemerkte er etwas.
Etwas machte sich bemerkbar und rief nach ihm!
Es war wie damals, als der Ruf kam, der Yakka veranlaßt hatte, das Rudel in dieses Land zu führen. Wieder war es ein Ruf, aber diesmal nur an ihn allein gerichtet.
Er empfand Erleichterung und Glück. Die Herrin rief ihn! Sie lebte noch, war nicht durch den Zweibeiner getötet worden.
Er würde sie befreien.
Yakka/Winter lokalisierte den Ausgangspunkt des Rufs. Wie damals wußte er sofort, wo er die Herrin zu suchen hatte. Sein Erinnerungsvermögen setzte ein; der Ausgangspunkt war das Polizeigebäude von Ploumanac’h.
Also hatten sie die Herrin doch zur Polizei gebracht!
Das war zum einen gut, zum anderen schlecht. Gut, weil er unter normalen Umständen schwerer zu einem Privatversteck gefunden hätte. Schlecht, weil bei der Polizei mit bewaffneten Gegnern zu rechnen war.
Aber irgendwie würde er auch sie überwinden. Er wußte, daß normale Wölfe erheblich dämlicher waren als er. Die Polizisten würden nicht mit seiner menschlichen Intelligenz rechnen. Er hatte gute Chancen.
Der Wolf, dessen Geist einmal einem Menschen gehört hatte, setzte sich in Bewegung Sein Ziel war die Herrin.
***
Stevan Arlais hatte nicht schlecht gestaunt, als zu später Nachtstunde Inspektor Yardin in Begleitung auftauchte und verlangte, daß jemand inhaftiert wurde. Noch größer war die Überraschung des momentan einzigen Nachtschicht schiebenden Polizisten, als er sah, um wen es sich bei dem Häftling handelte.
Ein wunderschönes Mädchen, das noch dazu völlig unbekleidet war!
Stevan Arlais waren fast die Augen aus dem Kopf gefallen. Yardin hatte ihn erst nachdrücklich an seine Pflichten als Polizeibeamter erinnern müssen, ehe wieder Bewegung in den Sergeanten kam. Auf Yardins Anweisung hin hatte er dem Mädchen Kleidung verschafft, allerdings nur mit innerem Widerwillen. Doch jetzt, als sie in der grauen Montur auf der Pritsche lag, sah sie immer noch reizvoll aus.
Stevan Arlais stand an der Zellentür und sah durch die Sichtluke. Er betrachtete das schöne Mädchen. Welchen Grund hatte der Chef gehabt, die weißblonde Schönheit einzusperren? Ein Mädchen, das so unglaublich schön war, konnte einfach nichts Böses getan haben! In Arlais’ Gedanken
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