0168 - Wir brachen dem Tod das Genick
Albany, durch das wir wenig später kamen, hatten Pech. Sie feierten gerade ihr alljährliches Tulpenfest, aber der Wettergott hatte darauf keine Rücksicht genommen. Traurig ließen Millionen von Tulpen ihre Köpfe hängen. In den Fenstern, auf den Balkons, in Körben, Kästen und Kisten stand die bunte Pracht, dem eisigen Wind ausgesetzt.
Hinter Albany ging es weiter nach Norden. Wir passierten Saratoga Springs und waren ein paar Meilen hinter dem Ortsausgang in einem Hagelschauer, der mich zwang, im Schrittempo zu fahren. Fast eine halbe Stunde lang prasselte der Hagel in dicken, groben Körnern auf den Jaguar herab, daß wir fast brüllen mußten, wenn wir uns verständlich machen wollten. Als es endlich vprbei war, erwartete uns die zweite Überraschung. Ein Schild verkündete, daß hier die Straße zu Ende sei. Dahinter stand ein zweites Schild mit einer Aufschrift, die verriet, daß General Grant in dem Hause dahinter gestorben war.
»Wir müssen im Hagel von der Straße abgekommen sein«, brummte Phil.
Ich knurrte etwas, das nicht salonfähig war. Wir fuhren das ganze Stück zurück und kamen auch richtig an die Gabelung, wo wir uns fälschlicherweise nach links gewandt hatten. Aber dies war zum Glück unser letztes Mißgeschick. Von nun an zeigte sich auch das Wetter ein wenig freundlicher, und wir kamen ohne neue Schwierigkeiten am Lake George vorbei, durch Warrensburg und Wevertown nach North Creek.
Inzwischen war es fünf Uhr nachmittags geworden, und wir hatten eine kleine Pause nötig. In einem bäuerlich eingerichteten Lokal ließen wir uns dampfenden, brühheißen Kaffee servieren. Wir räkelten und streckten uns, zündeten uns Zigaretten an und waren mit unserem Schicksal wieder ausgesöhnt.
Die Kneipe war gut besucht. In einer Ecke saßen vier kräftige, sonnengebräunte Männer. Einer trug ein Pflaster auf der linken Wange, das bis herunter zum Kinn reichte. Ihre grobknochigen, schwieligen Hände ließen auf eine schwere körperliche Arbeit schließen. Vielleicht waren es Holzfäller.
An der Theke standen ein paar Männer, die wie Farmer gekleidet waren. Sie tranken Korn-Schnaps und verputzten davon in ihrer ruhigen, bedächtigen Art ein hübsches Quantum.
Ich fragte den Wirt nach dem Telefon. Er schickte mich nach hinten in einen Käfig, der ihm als Büro diente, aber nicht mehr als ein Verschlag war. Ich meldete ein Gespräch nach New York mit Gebühren an und wartete.
»Sie können weiterfahren, Jerry!« sagte der Chef, als ich die Verbindung hatte. »Die Bande ist entwischt.«
»Wo?«
»Nach den vorliegenden Meldungen zog sich die Bande von Saranac Lake aus südlich durch die Wälder zurück. Im südöstlichen Zipfel der Grafschaft Franklin muß es einen kleinen See mit dem Namen Preston Pond geben. Südlicher liegt dann die Grafschaft Essex. Dort muß es gewesen sein, wo man den Kontakt mit der Bande verlor.«
»Okay, wir fahren also weiter. Ich denke, daß wir in etwa drei Stunden in Tupper Lake sein werden.«
Ich legte den Hörer auf und ging zurück zu Phil, um ihm das Resultat meines Gesprächs mitzuteilen. Wir suchten auf der Karte das von Mr. High beschriebene Gebiet und fanden tatsächlich den kleinen See. Allerdings stand der von Mr. High genannte Name auf unserer Karte in der Mehrzahl, so daß man zu dem Schluß kommen mußte, es handle sich nicht um einen einzigen See, sondern um mehrere.
Gegen halb sechs brachen wir auf. Jetzt kamen wir in die Region, wo viele Städtenamen auf »-See« endeten, denn hier wimmelt es buchstäblich von natürlichen Wasserresservoiren. Wir fuhren durch Indian Lake, Blue Mountain Lake und Long Lake. Rechts und links der Straße ragten Berghänge empor, ab und zu sah man es in den Tälern blap schimmern von einem der Seen. Abends gegen neun erreichten wir unser Ziel: Tupper Lake. Es war, als hätte das Schicksal dort nur auf uns gewartet.
***
Das Hotel ›Zum Goldenen Ochsen‹ lag ziemlich zentral. Es besaß eine stuckverzierte Vorderfront von insgesamt drei Stockwerken. Im Erdgeschoß gab es rechts eine Gaststube, links einen größeren Raum, der als Gesellschaftszimmer dienen sollte.
Wir ließen den Jaguar auf dem Parkplatz vor dem Hotel stehen und begaben uns zunächst einmal in die Gaststube, um dem Wirt unsere Ankunft zu melden. Der Hotelier war ein Mann von etwa vierzig Jahren. Über seine dunkle Hose trug er eine grüne Schürze. Die Ärmel seines weißen Hemdes waren bis über die Ellenbogen hochgerollt und ließen ein Paar
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