0171 - Die Hexe vom Hyde Park
»Genügt das?« fragte sie mit spöttischer Stimme.
»Ja, das reicht.«
Es reichte wirklich. Die Horror-Oma dachte darüber nach. Für sie war das so etwas wie ein Teilsieg und ein Zeichen. Denn sie ging davon aus, dass sich der Erhängte im Hyde Park materialisiert hatte. Und dort trieb sich noch John Sinclair herum.
Wenn er den Toten sah, dann verstand er das Zeichen sicherlich.
Nur nicht aufgeben, John! dachte die Horror-Oma.
»Gehen wir zu den anderen«, sagte Larissa. »Wir wollen uns nicht mehr länger aufhalten.«
Sarah Goldwyn musste vorangehen. Auch ihr blieb die Leiter nicht erspart. Sie meisterte die Sprossen jedoch mit Geschick und auch Glück.
Ihr war längst klar geworden, dass sie gegen die Hexe mit rein körperlichen Kräften nicht ankam. Magische Kenntnisse besaß die Horror-Oma kaum, aber sie verfügte über eine große Portion Schläue und auch Geschick Sie hatte es nicht umsonst geschafft, dass die Hexe bewies, wie mächtig sie war. Ein erstes Zeichen für John Sinclair, und Sarah Goldwyn hatte beschlossen, auch noch ein zweites, markanteres zu setzen, falls die Hexe mitspielte Glenda lag noch immer gefesselt und an das Brett gebunden auf der feuchten Uferwiese. Die beiden glatzköpfigen Henker umstanden sie. Glenda hatte keine Chance, sich zu befreien.
Lady Sarah lächelte ihr aufmunternd zu, obwohl das auch nichts half, denn Larissa war fest entschlossen, die Hexenprobe durchzuführen.
Sie nickte den Henkern zu. »Werft sie in den Weiher!« befahl sie dann.
Die Gestalten bückten sich. Auch die Hunde hatten sich aufgerichtet, sie knurrten leise.
»Moment noch!« Lady Sarahs Stimme klang klar und hell. Gar nicht ängstlich.
Die Henker hielten tatsächlich ein. Sie schauten Larissa ebenso an wie die Horror-Oma.
»Was willst du, alte Frau?« zischte die Hexe.
»Ich denke noch über deine Demonstration nach«, erwiderte die Horror-Oma.
»War sie dir nicht mächtig genug?« Lady Sarah wiegte den Kopf. »Ja und nein«, erklärte sie.
Larissa verzog das Gesicht, stand mit zwei Schritten vor Mrs. Goldwyn und starrte sie aus brennenden Augen an. »Was willst du noch, alte Frau?«
»Einen weiteren Beweis deiner Kraft.« Larissa zuckte zurück.
»Hat dir der eine nicht gereicht?«
»Schon.«
»Dann laß es auch.«
»Nein, Larissa. Ich habe viel über Hexen gelesen. Nun stehe ich kurz vor meinem Tod zum erstenmal einer gegenüber. Und ich wollte dich fragen, ob die Hexen wirklich so starke Fähigkeiten besitzen, wie immer gesagt wird..«
»Das habe ich dir gezeigt.«
Da lächelte die Horror-Oma etwas verschmitzt und auch hintergründig. »War diese Kunst des Verschwindenlassens nicht eine ganz simple Sache? Eigentlich deiner unwürdig.«
»Du riskierst eine große Lippe«, stellte die Hexe fest.
Da legte die Horror-Oma den Kopf schief und hob die Augenbrauen, in die Höhe. »Ist mir das nicht gestattet so kurz vor meinem Tod? Ich habe doch keine Chance mehr.«
Sie sagte dies mit einer Sicherheit, über die sie sich nicht allein wunderte, sondern auch Glenda Perkins. Glenda hatte der Mut fast verlassen, doch als sie die Worte der alten Dame vernahm, konnte sie nur noch staunen, und ein wenig Hoffnung glomm wieder in ihr auf.
Diese Sarah Goldwyn war wirklich ein Phänomen. Sie zeigte keine Furcht, obwohl sie sicherlich Angst hatte. Auch Glenda merkte, dass die Horror-Oma versuchte, die Hexe Larissa auszutricksen. Zur Hoffnung kam die Spannung.
»Sag, was du willst«, forderte Larissa.
»Das ist nicht schwer. Es sollte wenigstens für dich nicht schwer sein. Du hast es vor meinen Augen geschafft, den Gehängten verschwinden zu lassen, nun frage ich mich, ob du es auch schaffst, uns verschwinden zu lassen.« Bevor Larissa etwas sagen konnte, vollführte Sarah Goldwyn eine umfassende Armbewegung. »Ich meine es so, dass wir alle hier in eine andere Zeit - in die Gegenwart - versetzt werden.«
»Was bezweckst du damit?« zischte Larissa, und ihre Augen wurden zu schmalen Sicheln.
»Jeder Todeskandidat hat einen letzten Wunsch«, erklärte Lady Sarah, nachdem sie tief Luft geholt hatte. »So auch ich. Es ist mir unbegreiflich, dass ich in irgendeinem Dämonenreich sterben soll. Ich möchte, wenn ich schon sterben muß, dass dies in meiner Zeit geschieht. In der Gegenwart der Erde. Ist das so schlimm und so unverständlich? Wer die Kräfte besitzt, der sollte dem Wunsch einer alten Frau auch Folge leisten.«
»Da ist ein Trick dabei!«
Sarahs Augen wurden groß. »Welcher Trick?
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