0177 - Melinas Mordgespenster
ich mir den Weg gemerkt, den ich gekommen war. So brauchte ich wenigstens nicht lange zu suchen.
Ich rannte los.
Leider kannte ich keine Abkürzungen, so mußte ich auf dem Weg bleiben und konnte nicht quer durchs Gelände laufen.
Schließlich sah ich das Haus. Licht brannte in den unteren Räumen und über der Eingangstür.
Ich hastete die Treppe hoch. Ein schrecklicher Verdacht stieg in mir hoch, als ich die Tür offen fand.
Ich drückte sie noch weiter auf, bildete selbst einen Schatten im herausfallenden Lichtschein, übertrat die Schwelle und stand in der Diele.
Der Schock traf mich mit der Wucht eines Keulenschlags. Mein Vater war gar nicht zu übersehen. Er lag am Boden, hatte mir sogar das Gesicht zugedreht, und ich sah das Blut, das aus einer Wunde an der Brust sickerte und sich im Jackett verlief. Blaß war das Gesicht meines Vaters, leichenblaß…
Ich unterdrückte einen Aufschrei, war mit zwei großen Schritten bei ihm und ging neben ihm in die Knie.
War er tot?
Die Einschußwunde saß ziemlich hoch, zudem an der rechten Seite, aber trotzdem in der Brust. Ich traute mich kaum, nach seinem Herzschlag zu fühlen.
Das Herz schlug!
Wirklich, Freunde, es schlug. Mein Vater war nicht tot. Die Kugel hatte ihn nur schwer verletzt.
Ich jagte zum Telefon, jetzt mußte ich sprechen, denn ich brauchte einen Arzt. Und tatsächlich war der Kloß, den ich vorher im Hals gehabt hatte, weg.
Unter dem Telefon lag ein Verzeichnis mit Nummern. Ich fand auch die eines Arztes und drückte mit zitternden Fingern die Knöpfe des Tastenapparats.
Der Mann meldete sich schnell. Ich sagte meinen Namen und wer ich war. Der Doc zeigte sich überrascht und war noch überraschter, als ich ihm erzählte, was vorgefallen war.
»Ich bin in wenigen Minuten bei Ihnen«, erklärte er.
Mir blieb die Wartezeit. Meine Mutter fiel mir ein. Himmel, was war nur mit ihr geschehen? Im Haus hatte ich sie nicht gesehen, sie mußte vielleicht verschleppt worden sein oder?
Ich jagte die Treppen nach oben. Leider kannte ich mich nicht aus, öffnete Türen, warf sie zu, doch meine Mutter fand ich nicht.
Ich lief wieder nach unten.
Mein Vater lag jetzt auf dem Rücken. Hatte er sich von selbst herumgerollt?
Sofort war ich an seiner Seite, kniete mich nieder, schaute in sein Gesicht und sah das Erstaunen in den noch klar blickenden Augen.
»John?« flüsterte mein Dad, »du bist nicht tot?«
»Nein, ich habe es geschafft.«
»Deine Mutter…«
»Was ist mit ihr?«
Das Gesicht meines alten Herrn verzog sich. »Sie…sie haben deine Mutter verschleppt.«
»Wohin, Dad?«
»Zum Friedhof, glaube ich. Es sind Zwillinge. Das Mädchen…hat…ein…« Mein Vater öffnete den Mund. Röchelnd sog er die Luft ein.
»Bleib ruhig, Dad«, sagte ich. »Der Arzt ist bereits unterwegs. Ich habe ihn angerufen.«
»Ja, John…«
Das waren seine letzten Worte. Plötzlich verfiel er, sein klarer Blick verschwamm, und für Sekunden glaubte ich, einen Toten vor mir zu haben. Als ich genauer nachschaute, stellte ich fest, daß er nur bewußtlos war.
Ich stand auf, griff zur Zigarettenschachtel, merkte, daß sie feucht war und schleuderte sie weg. Auch mein Anzug klebte mir am Leib. Es war nur noch ein Lappen. Ich würde mir sicherlich eine Erkältung einfangen, falls ich sie nicht schon hatte.
Endlich hörte ich das Knirschen der Reifen draußen auf dem Belag.
Ein Wagen fuhr an und drehte die Runde, bevor er neben dem Eingang stoppte.
Ich riß die Haustür auf und sah, wie ein älterer Mann das Fahrzeug verließ. Elastisch eilte er die Stufen hoch, nickte mir kurz zu und kümmerte sich sofort um meinen Vater.
»Kann ich gehen, Doc?«
Er schaute mich an und blieb neben der Leiche liegen. »Sie sind der Sohn, nicht?«
»Ja.«
»Es sieht nicht gut aus für Ihren Vater, und da wollen Sie verschwinden?«
»Genau.«
»Und warum?«
»Es geht um meine Mutter, Doc. Ich will nicht, daß sie vielleicht auch noch stirbt. Reicht das als Antwort?«
»Entschuldigen Sie.«
Ich ging und hoffte, daß beide Eltern durchkommen würden…
***
Früher war er mal benutzt worden. Damals hatte Lauder auch nur die Hälfte der Einwohnerzahl aufzuweisen gehabt, da kam man bequem mit einem Friedhof aus. Als dieser zu klein wurde, errichtete man hinter der kleinen Kirche den zweiten Gottesacker.
Der alte Friedhof wurde nie planiert, obwohl die Stadtväter das sogar vorgesehen hatten. Irgend etwas kam immer dazwischen, und später hatte man ihn einfach
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