018 - Die Vampirin Esmeralda
aller Kraft daran. Das Tor ging quietschend auf. Aber schon waren die Vampire heran. Sie griffen nach ihr. Esmeralda stieß mit dem Kerzenleuchter zu, traf aber nicht, weil ihre Verfolger zurückwichen. Der Leuchter stieß gegen die Wand und wurde ihr aus der Hand geprellt. Immerhin hatte sie sich etwas Bewegungsfreiheit verschafft und konnte durch das Tor ins Freie schlüpfen.
Draußen dämmerte bereits der neue Tag herauf. Wenn es stimmte, daß Vampire das Tageslicht nicht vertrugen, war dies vielleicht ihre Rettung. Doch als sie schon einige Schritte weit weg war und sich umdrehte, sah sie, daß die blutgierige Horde sich anschickte, ihr zu folgen.
Ein Wind kam auf. Durch den Luftzug fiel das Tor zu, und ein Vampir wurde darin eingeklemmt. Sein Schmerzensschrei vermischte sich mit dem Geräusch brechender Knochen.
Esmeralda blickte wieder nach vorn. Die Schloßmauer war nur noch zweihundert Meter von ihr entfernt. Außerhalb des Parks wurde vielleicht jemand auf sie aufmerksam: ein einsamer Wanderer oder ein Bauer, der schon vor Sonnenaufgang zum Markt von Cordoba aufgebrochen war.
Noch einmal blickte sie sich um. Die Vampire wichen nun langsam zurück. Obwohl die Sonne noch nicht aufgegangen war, schien ihnen die Helligkeit doch nicht zu behagen. Nur ein einziger Verfolger blieb ihr auf den Fersen. Es war der Vampir, der von dem zufallenden Tor eingeklemmt worden war. Er humpelte, sein einer Arm hing schlaff herab, sein furchterregender Kopf stand in seltsamem Winkel vom Körper ab. Esmeralda konnte seinen rasselnden Atem hören.
Sie lief schneller. Endlich hatte sie das rettende Tor erreicht. Sie stemmte mit letzter Kraft den Riegel in die Höhe, da spürte sie eine Hand auf ihrer Schulter. Sie schrie. Der Vampir mit dem eingedrückten Brustkorb stand vor ihr. Sie fiel mit dem Rücken gegen das Tor, glitt kraftlos daran herunter. Sie war zu keiner Bewegung fähig, konnte nicht einmal mehr schreien. Mit stummen Entsetzen sah sie, wie der Kopf des Scheusals ihr immer näher kam. Von den Vampirzähnen troff gelber Speichel.
Sie wartete apathisch auf den Biß, der ihren Qualen ein Ende bereiten würde, doch er blieb aus. Der Vampir zuckte plötzlich wie unter Schlägen zurück und gab winselnde Schmerzenslaute von sich. Sein Körper fiel auf sie. Sie stieß ihn zur Seite.
Esmeralda sah, wie eine Veränderung mit ihm vor sich ging. Seine Haut schrumpfte ein, wurde mumifiziert, schuppte ab. Die ersten Sonnenstrahlen des Tages hatten ihr die Rettung in letzter Sekunde gebracht.
Eine erlösende Ohnmacht umnebelte ihren Geist.
Das Geräusch einer sich öffnenden Tür in ihrem Rücken ließ sie herumwirbeln.
»Ach, Ihr seid es!« sagte Esmeralda erleichtert, als sie Lucero erblickte. Er machte ein düsteres Gesicht. Seine Augen funkelten sie wütend an, und doch war sein Anblick um vieles erfreulicher als der Anblick jener Unheimlichen auf dem Schloß des Grafen de Godoy, die nach ihrem Blut gelechzt hatten.
»Es gibt nur wenige, die bei meinem Anblick Erleichterung empfinden«, sagte er und schloß die Tür hinter sich.
»Nach allem, was ich erlebt habe …« Sie verstummte. Sie wollte am liebsten nicht mehr an die zurückliegenden Ereignisse denken, aber Lucero würde darauf bestehen, daß sie ihm berichtete.
»Man sagte mir, daß du bewußtlos vor dem Tor des Schlosses gelegen hast«, meinte er vorwurfsvoll. »Wenn dich nicht einer meiner Leute, sondern ein Bauernlümmel gefunden hätte, dann hätte das Nahrung für die Gerüchte über den Grafen gegeben, Esmeralda.«
»Es sind keine Gerüchte, Eure Eminenz«, sagte sie aufgeregt. »Es ist alles wahr, was die Leute behaupten. Was sich auf dem Schloß des Grafen zuträgt, ist sogar viel schlimmer!«
»Was ist das für ein Geschwätz!« sagte er kalt. »Willst auch du zu denen gehören, die Lügen über den Grafen verbreiten und dadurch sein Ansehen in Verruf bringen?«
»Es ist kein Geschwätz!« rief sie verzweifelt. »Ihr müßt mir ganz einfach glauben.«
Lucero wandte sich ab und sagte knapp: »Erzähle!«
Sie schilderte ihm ihre Erlebnisse von der Ankunft auf dem Schloß bis zu jenem furchtbaren Moment, da der im Sonnenlicht zerfallene Vampir sie am Tor in die Enge getrieben hatte, wo sie kurz darauf das Bewußtsein verlor.
»Als ich wieder zu mir kam, schleppte ich mich durch das offene Tor aus diesem unheimlichen Park. Zu meinem Glück entdeckten mich Soldaten. Einer nahm mich zu sich aufs Pferd und brachte mich auf mein Verlangen sofort zu
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