0189 - Am Schreckensfluß
seinem ungestümen Vorwärtsdrängen aufschreckte und davonscheuchte.
Dann bewegte er sich direkt am Fluß. Er war jetzt jenseits der scharfkantigen Biegung. Eine direkte Sicht zum Steilufer, auf dem sich in Bälde eine furchtbare Szene abspielen würde, war nicht möglich. Einerseits war Zamorra froh darüber, weil er nicht zu sehen brauchte, was geschah, andererseits aber begann die Ungewißheit wieder an ihm zu nagen.
Er mochte vielleicht dreihundert, vierhundert Meter von der Flußbiegung entfernt sein, als die ersten Bilder ihn durchzuckten.
Überrascht nahm er sie wahr. Sie entstanden gewissermaßen direkt in ihm und zeigten ihm, wie eine Witch sich darum bemüht, Nicole aus ihrem Dahindämmern zu reißen.
Zamorra preßte die Zähne zusammen, bis es knirschte. Die Schwarzen des ORTHOS spielten wieder mit ihm! Sie wollten ihn erneut quälen und übertrugen das, was sich abspielte, in einer Vision zu ihm, damit er auch alles mitbekam und litt.
Er versuchte die Bilder abzublocken, so daß er nur noch einen groben Überblick behielt, die Einzelheiten aber verdrängte. Es gelang ihm, sich auf diese Weise gegen die Visionen zu wehren, die man ihm sandte. Irgendwie entsprachen sie jenem Bild, das Nocturno ihm in den OLYMPOS übermittelt hatte.
Suchend sah Zamorra in die Runde, bis er endlich entdeckte, was er die ganze Zeit über gesucht hatte. Es gibt keinen Dschungelfluß, über den nicht hin und wieder der morsche Stamm eines umgestürzten Baumes ragt. Dieser hölzerne Bursche, den Zamorra entdeckte, mochte vielleicht dreißig Meter lang sein und fast zwei Meter dick. Ein Gigant, der nur deshalb umgestürzt war, weil ihn ein Blitz getroffen hatte.
Schwarz und anklagend ragte der splitterige Stumpf in den Himmel, der keine Verbindung mehr mit dem Rest des Stammes besaß. Dem waren die breiten Blätter bereits ausgegangen, und mit der Krone lag er im Wasser, in der Strömung.
Zamorra schätzte den Rest des Stammes ab. Er traute es sich zu, diesen Koloß mit einiger Anstrengung so weit zu bewegen, daß er der Strömung nicht mehr widerstehen konnte.
Er mußte das Langschwert als Hebel ansetzen. Der Schweiß trat auf seine Stirn, als er begann, den Stamm zu bewegen. Zentimeter um Zentimeter rutschte er weiter.
Wieder schlugen die Visionen durch. Sie zeigten, wie Nicole zum Rand des Ufers gebracht wurde.
Zamorra arbeitete noch fieberhafter. Er wußte, daß er zum zweiten Mal innerhalb weniger Stunden dabei war, sich vollkommen zu verausgaben. Ob ihm noch einmal jemand so helfen würde, wie es geschehen war, wagte er nicht einmal zu hoffen.
Plötzlich ruckte der Stamm und glitt von selbst weiter, gezerrt von der Strömung des Krokodilflusses.
Zamorra schob das Schwert mit einer schnellen Bewegung in die Schneide und hetzte hinter dem Baumstamm her. Er erreichte ihn gerade noch rechtzeitig, ehe er endgültig abrutschte.
Dann stand er balancierend auf dem Stamm, der sich im Fluß langsam um seine Querachse drehen wollte, dann aber doch längs weitertrieb. Erneut packte die Vision zu.
Sie zeigte ihm, wie Nicole in hohem Bogen in den Fluß geschleudert wurde, so wie er es schon einmal durch Nocturno vorauserlebt hatte.
Zamorra stieß einen wilden, langanhaltenden Schrei aus.
***
Kerr wurde zum Beobachter. Als man Byanca und ihn in den riesigen Saal brachte, eilte Byanca förmlich voraus auf den düsteren Thron zu, der sich in der Saalmitte erhob.
Neben ihm stand ein hochgewachsener Mann.
»Damon!« schrie Byanca und breitete die Arme aus, während sie ihm entgegenlief. »Damon!«
Überraschung zeichnete sich auf seinem Gesicht ab. Dann bewegte er die Hand, und Byanca prallte vor eine unsichtbare Mauer.
Langsam folgte Kerr ihr.
Seine Druidensinne versuchten, so viel wie eben möglich zu erfassen. Er spürte eine unheilvolle Aura, die von dem Fürsten der Finsternis ausging, und er hörte aber auch die lautlosen Klageschreie derer, die in dieser Halle vernichtet worden waren.
Eine dämonische Schlacht hatte stattgefunden.
Kerr mußte förmlich abblocken, um von den Impulsen und Schwingungen nicht erschlagen zu werden. Spürte Byanca sie nicht?
Auf ihrem Gesicht zeichnete sich Ratlosigkeit ab. »Damon…«
Kerr sah und hörte ihn lachen. Ein hartes, spöttisches Lachen, wie es der Dämonen Art ist.
»Du hast es gewagt, Byanca… du Närrin! Was willst du von mir?«
»Wir lieben uns doch«, flüsterte sie. »Ich bin gekommen, um dich zu holen. Komm mit mir und laß uns zusammen glücklich
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