0191 - Fenris, der Götterwolf
brauchte meinen Freund nur anzuschauen, um zu erkennen, daß er das gleiche dachte wie ich. Nein, der Anblick des Wolfes war keine Halluzination gewesen, sondern echt. Ich war davon überzeugt, es hier mit einem schwarzmagischen Phänomen zu tun zu haben.
»Schließen Sie doch endlich den Sarg!« fuhr der Pfarrer mich unmutig an.
Ich tat es. Noch einen letzten Blick warf ich auf Nadine Berger. Ihr Anblick ging mir durch und durch. Für einen Moment hatte ich das Gefühl, als würde sie die Hände ausstrecken und mich umarmen.
Ich legte den Deckel passend auf das Unterteil. Die beiden Männer verschlossen ihn wieder.
Als ich mich aufrichtete, war ich naßgeschwitzt. Die letzten Minuten hatten mich wirklich stark mitgenommen. Ich konnte das Grauen noch immer nicht fassen.
»Können wir den Sarg jetzt wegschaffen?« fragte einer der Männer. Er schaute den Pfarrer dabei an.
Der nickte. »Ja, bringen Sie ihn dorthin, wo der Weg beginnt. Wir werden eine normale Beerdigung durchführen.« Als wollte er sich selbst bestätigen, sagte er: »Es gibt keine Wölfe. Es gibt einfach keine. Wir haben uns getäuscht!«
Ich enthielt mich einer Antwort, war jedoch sicher, es besser zu wissen.
Auf seinen Gummirädern rollte der kleine Wagen lautlos davon.
Ich schaute dem Sarg so lange hinterher, bis er nicht mehr zu sehen war.
Niemand sprach ein Wort. Bis der Pfarrer schließlich nickte.
»Wollen Sie dann mitkommen?«
»Natürlich«, sagte ich.
Die übrigen Trauergäste waren bereits versammelt. Sie standen vor der Kapelle. Blaß die Gesichter. Daß das Thema noch nicht erledigt war, entnahm ich ihren Worten. Sie sprachen flüsternd über die Trauerfeier und die seltsamen Geräusche aus dem Sarg. Wir wurden zwar mit fragenden Blicken bedacht, es wagte allerdings niemand, uns anzusprechen. Zu groß war die Unsicherheit.
An der Kapelle formierte sich der Trauerzug. Emily Berger und das Ehepaar aus dem Ort schritten direkt hinter dem Sarg her. Suko und ich bildeten die zweite Reihe. Hinter uns gingen die ehemaligen Kolleginnen und Kollegen.
Ich mag keine Beerdigungen und auch keine Trauerzüge. Es war ein stiller Marsch über den herbstlichen Friedhof, denn auch die Natur ließ etwas von der Traurigkeit ahnen, die über den Gräberfeldern lag. Von allen Bäumen fielen die Blätter. Man konnte das Gefühl haben, große, bunte Schneeflocken würden in der Luft liegen.
Auch auf den Wegen hatte sich das Laub gesammelt. Es wurde von unseren Füßen aufgewirbelt, wenn wir hindurchgingen. Zuerst schritten wir über den älteren Teil des Friedhofes, wo manche Gräber so groß waren wie kleine Grundstücke. Die Grabsteine waren entsprechend prächtig. Hier hatten es sich die Leute noch etwas kosten lassen, ihre Toten zu begraben. Und sie behielten sie auch in einem ehrenden Andenken. Da war kein Grab ungepflegt, wie man es oft auf Großstadtfriedhöfen erlebt. Auf zahlreichen Gräbern brannten sogar kleine Lampen. Durch buntes Glas wurden die Kerzenflammen vom Wind geschützt.
Den Kies auf den Wegen sah ich kaum. Es wurde zumeist vom bunten Laub bedeckt.
Dann verließen wir den Hauptweg, und gingen dorthin, wo das neue Gräberfeld lag. Hier sah es anders aus. Zwar wuchsen noch Bäume, aber längst nicht so alte und hohe wie auf dem älteren Teil des Friedhofs. Diese hier waren frisch angepflanzt worden und würden erst in einigen Jahren ihre gewaltigen Kronen ausstrecken und ein natürliches Dach über die letzten Ruhestätten der Toten bilden.
In der Ferne sahen wir die sanften Hügelrücken. Sie schimmerten dunkelgrün.
Ich horchte, ob sich die makabren Laute aus dem Sarg nicht wiederholten. Es tat sich nichts, alles blieb ruhig, nur unsere Schritte und das leise Weinen der Trauergäste waren zu hören.
Der Pfarrer schritt vor dem Sarg. Er bog nach links in einen schmalen Weg ein, an dessen Ende wir einen frisch aufgeworfenen Lehmhügel entdeckten.
Unser Ziel!
Wir benötigten zwei Minuten, um es zu erreichen. Dann verteilten wir uns um das Grab, ließen jedoch eine Gasse, um den Pfarrer hindurchzulassen, während die beiden Helfer den kleinen Wagen mit dem Sarg auf der Ladefläche heranschoben.
Noch einmal sprach der Geistliche, und auch ein ehemaliger Kollege ließ es sich nicht nehmen, Nadine Berger einen letzten Gruß mit auf den Weg zu geben.
Ich war sehr froh darüber, daß die Leute vom Film nicht mitbekommen hatten, was sich in dem Sarg abspielte.
Noch einmal wurde mir bewußt, daß ich Nadine nie mehr so sehen
Weitere Kostenlose Bücher