0195 - Im Schloß der Bestien
erschauerte und zuckte deutlich zusammen. Das Heulen war von jenseits des Waldes gekommen, oben vom Hügel, wo sich das Schloß befinden sollte. Und als sie aufsahen, konnten sie es von hier aus sehen. Zwei Fenster waren auch jetzt, zu später Nachtstunde, erhellt und wirkten wie unheimliche große Augen.
»Der Wind«, sagte Mark leise. »Er singt in den alten Mauern. Das hört sich an wie dieses verdammte Wolfsheulen.«
Aber so ganz konnte er selbst nicht glauben, was er sagte.
»Ich weiß nicht«, flüsterte Susy unsicher. »Es klingt so … so echt!«
»Mein gespieltes Heulen klang doch auch echt!« beruhigte Mark sie. »Unsere Fantasie spielt uns Streiche. Wir sind ein wenig überreizt, das ist alles.«
»Überreizt, ja«, erwiderte sie unerwartet heftig. »Und das Zelt, unsere zerfetzten Sachen, das ist auch alles nur in unserer überreizten Fantasie geschehen, ja? Laß uns wegfahren –«
Sie unterbrach sich abrupt, weil es ein Wunschtraum blieb. Die Reifen des Morris waren zerstört. Sie konnten nicht fort.
»Der Teufel soll’s holen«, knurrte Mark. »Wenn es sein muß, fahre ich auf den blanken Felgen!«
»Sprich nicht vom Teufel, Mark«, flüsterte sie erschauernd.
Er löste seine Hand aus ihrer und ging auf den Wagen zu. Der Wagen war nicht abgeschlossen, weil das Türschloß auf der Fahrerseite defekt war, und weil es hier in der freien Natur keinen Dieb gab, der ein Auto klaute, hatte Mark auch den Zündschlüssel im Schloß steckenlassen. Auf diese Weise konnte er ihn auch nicht verlieren.
Seine Hand streckte sich nach dem Griff aus, öffnete die Tür. Er bückte sich, um sich in den Wagen gleiten zu lassen.
In diesem Moment erhob sich vom Beifahrersitz eine düstere Gestalt, die selbst im fahlen Zwielicht nicht mehr menschlich wirkte, und grell glühte ein schrägstehendes, tückisches Augenpaar, als die schwarze Gestalt Mark Bowden entgegensprang!
***
Jäh sprang der graue Wolf zur Seite. Raffael Bois’ Fingerbewegung war nicht mehr zu stoppen; er überwand den Druckpunkt und zog durch. Der Schuß krachte, und weil das Aufspringen des Tieres Raffael irritiert hatte, zog er den Finger zu weit durch und erwischte auch noch den Abzughebel für den zweiten Lauf.
Die beiden großkalibrigen Geschosse schrammten gegen die Wand und heulten als Querschläger über den Korridor.
Der Wolf aber reagierte für Raffael unerwartet, indem er einfach stehenblieb, die Ohren flachlegte und leise winselte. Raffael hatte in der ersten Schrecksekunde mit einem Angriff gerechnet – oder mit wilder Flucht. Der Wolf aber blieb.
Etwas stimmt hier nicht.
Und wie hatte das Tier genau in dem Moment des Abdrückens die tödliche Gefahr erkennen können, nachdem es vorher nicht reagiert hatte? Die erste Kugel hätte ihm bereits den Schädel zertrümmert!
Raffael überlegte noch, als die Tür des Badezimmers aufflog und ein tropfnasser Zamorra, ein Handtuch um die Hüften, hervorstürmte. »Was zum Teufel ist denn hier los?« brüllte er.
»Vorsicht, Chef!« schrie Raffael entsetzt. »Ein Wolf! Rechts hinter Ihnen!«
Zamorra drehte den Kopf und sah Fenrir neben sich stehen.
»Ach du meine Güte«, murmelte er. »Raffael, Sie haben ihn doch hoffentlich nicht verletzt? Das ist nämlich kein gewöhnlicher Wolf, sondern Fenrir.«
»Fenrir? Ich verstehe nicht«, sagte Raffael etwas ratlos, klappte das Gewehr auf und schob vorsichtshalber neue Patronen in die Läufe.
»Er ist jedenfalls harmloser als ein Dackel«, sagte Zamorra und kraulte Fenrir hinter den Ohren. »Er ist ein guter Freund, könnte man sagen, fast schon eine Persönlichkeit.«
Der Wolf gab einen kurzen Laut von sich, der kein Heulen war, aber auch kein reinrassiges Bellen. In dieser Hinsicht blieb er Wolf, und Wölfe können nicht bellen. Sie heulen nur.
»Legen Sie die Saurierbüchse wieder weg, es hat alles seine Ordnung«, sagte Zamorra beruhigend. »Allenfalls können Sie für morgen früh etwas zu fressen für Fenrir zurechtmachen.«
»Was frißt er denn?« wollte Raffael mißtrauisch wissen. So ganz traute er dem grauen Räuber nicht über den Weg, und wenn Zamorra tausendmal behauptete, Fenrir sei harmlos. Wolf bleibt Wolf! dachte Raffael bei sich.
»Oh, Fleisch, würde ich sagen«, sagte Zamorra und kratzte sich überlegend am Genick. »Menschenfleisch wird es nicht gerade sein müssen, aber vielleicht tut es auch ein saftiges Reh oder ein großes Kaninchen? Was meinst du dazu, Wolf?«
Fenrir klappte das Maul zu einem ausgiebigen
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