02 - Die Gefangene des Wikingers
kann er mir nur so gleichgültig gegenüber stehen und meinen Leuten und dem, was passiert ist?« fragte sie weinend Alswitha. »Ich stamme von seinem Blut ab, und er ist mein Vormund, und jetzt ist er gegen mich, weil ich das, was mir gehört, verteidigt habe!«
Alswitha schwieg für einen langen Augenblick. Dann sagte sie ruhig-. »Nein, du vergisst nur den König. Wessex, Rhiannon, - und zwar ganz Wessex - untersteht ihm.«
»Er ist grausam!«
»Er ist hart und kann unversöhnlich sein. Das Schicksal hat ihn so gemacht, denn er muss stark sein. Denke immer daran, dass er nicht nur dein Vormund ist, sondern auch dein König und dein Beschützer. Und dass er dich liebt.« Alswitha zupfte ihre trocknenden Haarsträhnen aus dem Handtuch und lächelte mitfühlend. »Er ist für dein Wohlergehen verantwortlich. Er wollte dich nicht verletzen und würde das auch nie versuchen. «
Rhiannon wollte das so gerne glauben. Sie liebte den König. Alfred und Alswitha und die Kinder waren ihre Familie. Sie waren alles, was sie noch hatte. Sie kreuzte die Beine, zog das Handtuch enger um sich und starrte ins Feuer. Stumm fielen Tränen von ihren Wimpern.
»Es war schrecklich!« flüsterte sie. » Soviel Tod, soviel Blut. Ich liebte meinen lieben Egmund so sehr. Und auch Wilton. Denk nur an- die Frauen, die jetzt keinen Liebsten mehr haben, denk nur an die armen Waisen. « Sie hob plötzlich den Kopf. »Und Adela! Ich sah sie nicht, als ich entkam. Sie muss verschwunden sein, Alswitha. Ich weiß nicht, ob sie entkam oder ob sie jetzt verzweifelt durch die Wälder irrtl «
»Alfred wird sie finden«, antwortete Alswitha voller Vertrauen.
»Oh! Ich war so selbstsüchtig! Ich habe Alfred gar nichts von ihr gesagt!«
»Ich bin sicher, es geht ihr gut. Alfreds Männer werden sie finden.«
»Und was, wenn die Wikinger sie finden?«
»Wenn sie in die Wälder entkam, warum sollten sie dort nach einer Frau suchen, von der sie gar nicht wissen, dass es sie gibt?«
Rhiannon schwieg. Sie würden nicht nach Adela suchen, aber der Normanne, den sie so schwer verletzt hatte, würde vielleicht nach ihr suchen lassen und statt dessen Adela finden.
Doch das erzählte sie Alswitha nicht. Sie konnte Alswitha nichts von ihrer Begegnung mit dem Wikinger erzählen. Das wagte sie nicht. Alswitha war Alfreds Frau, und sie konnte es für notwendig erachten, ihm davon zu erzählen.
»Komm, Rhiannon«, sagte Alswitha sanft drängend, »du musst etwas essen, und dann musst du versuchen zu schlafen.« Sie zögerte und betrachtete Rhiannon nachdenklich. »Wovor hast du immer noch Angst?«
»Was?« Rhiannon blickte sie mit großen, ängstlichen Augen an.
»Was. ist es? Warum hast du immer noch so große Angst?«
Sie schüttelte den Kopf: »Das - das habe ich nicht. Nicht mehr. Jetzt bin ich hier, bei dir. Ich bin in Sicherheit. «
Aber sie wusste nicht, ob sie in Sicherheit war, ob sie jemals in Sicherheit sein würde. Sie konnte den Wikinger nicht vergessen. Sie konnte weder die Hitze seines Körpers, noch die Eiseskälte seiner Augen oder den kehligen Klang seiner Stimme vergessen, als er die Warnung aussprach.
Betet Lady… dass wir uns nie mehr wiedersehen.
Und sie würde ihn niemals wiedersehen. Sie würde bei Alswitha und den Kindern bleiben, und Alfred würde mit seiner Söldnerarmee wegreiten und bei Rochester gegen die Dänen kämpfen. Sie würde ihn niemals mehr wiedersehen.
Ihre Zähne begannen zu klappern. Sie betete darum genauso wie er es ihr vorgeschlagen hatte. Sie betete auch darum, dass Alfred niemals erfuhr, wie tief sie in diesen Kampf verwickelt gewesen war.
Alswitha tätschelte besorgt Rhiannons Schulter. »Komm, du musst jetzt schlafen. Weißt du, es gibt noch jemanden, der dich liebt.«
»Rowan!« rief Rhiannon aus und sprang auf. Sie hatte ihn fast vergessen - ihre einzige Liebe! - in dem ganzen Durcheinander, nach dem, was geschehen war.
»Ja, Rowan. Aber ich bin mir sicher, dass er mit dem König reitet und sehr wahrscheinlich nicht vor morgen zurückkehren wird. Du musst jetzt etwas essen, und dann musst du eine durchwachte Nacht nachholen. Du willst sicher nicht, dass er dich in einem derartig zerzausten Zustand sieht, oder?«
»Nein, ganz bestimmt nicht!« pflichtete sie ihr schnell bei. Sie durfte Rowan von dem, was geschehen war, nichts erzählen. Er liebt nicht Wessex, er liebte sie, und sicherlich würde er ihre Ehre an dem Normannen aus der Gefolgschaft des Prinzen, der sie derartig unwürdig behandelt
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