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02 Die Kinder der Rothschildallee

02 Die Kinder der Rothschildallee

Titel: 02 Die Kinder der Rothschildallee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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bereits ein Badezimmer mit Wanne und Becken. Keine der Toiletten war noch im Hausflur. Die Küchen waren gekachelt, die Spülen erneuert. In der Rothschildallee wurde die Waschküche mit einem modernen Durchlauferhitzer für das heiße Wasser und einer Mangel ausgestattet, der Wäscheboden mit elektrischer Beleuchtung.
    Zu der Posamenterie in der Hasengasse, sein allererstes Unternehmen und geliebt wie ein leibliches Kind, waren drei Textilgeschäfte hinzugekommen. »Kleiden müssen sich die Leute immer«, bekam Frau Betsy beim Erwerb des dritten Unternehmens – auf der Berger Straße am Merianplatz – zu hören. »Kleingläubig und verspießert«, wie ihr Mann rügte, hatte sie von den unsicheren wirtschaftlichen Verhältnissen gesprochen und Johann Isidor zur Zurückhaltung ermahnt.
    Seinen Kompagnon im Postkartenverlag, einen missgünstigen, bauernschlauen Mann voller Argwohn, der ausgerechnet Pius Ehrlich hieß, hatte er ausgezahlt und ohne Bedauern aus seinem Blickfeld verschwinden sehen. Der Verlag selbst hatte sich rascher als die meisten derartigen Unternehmen von der Inflation erholt. Mochte sich Meister Sternberg auch in die Vergangenheit zurücksehnen, wenn er zeitunglesend eine penible Bilanz der deutschen Krisen aufstellte, als Handelsmann wusste er die Gegenwart zu nutzen. Seine Freunde und erst recht seine Konkurrenten attestierten ihm immer noch »das goldene Händchen«.
    Er hörte es gern – die Eitelkeit des Alters hatte ihn nicht verschont. Trotzdem sagte er zu Betsy: »Die Leute haben in der Inflation nicht nur ihr Vermögen, sondern auch das bisschen Verstand eingebüßt, das der liebe Gott ihnen gab. Goldene Händchen gibt es längst nicht mehr. Es gibt nur noch Illusionisten und Narren.«
    Er hatte keine Illusionen mehr, und ein Narr war er nie gewesen. Sollten doch die Toren vom Silberstreifen am Horizont reden und auf Frieden in der Welt hoffen, Johann Isidor hoffte nicht mit. Er war nicht mehr bereit, den Botschaften zu glauben, die die Politiker verkündeten. Der Friedensvertrag von Locarno, Deutschlands Aufnahme in den Völkerbund, die gesamte Weimarer Republik waren ihm gleichgültig. Als Außenminister Walther Rathenau am 24. Juni 1922 auf der Fahrt ins Auswärtige Amt ermordet wurde, beschloss Johann Isidor, sich nie mehr für Politik zu interessieren, doch auf dem gläsernen Beistelltisch neben dem Ohrensessel mit Tante Jettchens grünem Samtkissen stapelten sich weiter die Zeitungen.
    Seine erste Handlung am Morgen und die letzte am Abend war der Griff zum Radio. Jeden Freitagnachmittag traf er sich mit Doktor Meyerbeer, dem langjährigen Hausarzt der Familie, um die Diagnose an der kranken Zeit zu stellen. Johann Isidor machte sich sein eigenes Bild von der Republik, doch er machte sich nichts mehr vor. Die Linke widerte ihn an, die Drohungen der Rechten ängstigten ihn. Er schämte sich seiner Furcht, doch von der sprach er weder mit Meyerbeer noch mit Betsy. Den Mann, der vor drei Jahren in München einen Putschversuch gemacht und in Landsberg eingesessen hatte, bezeichnete er prinzipiell als »halbe Portion« und als einen »dahergelaufenen Österreicher«. Dem eigenen Sohn nahm er übel, dass er den Vater durchschaute. »Herr Hitler«, belehrte er Erwin, als der ausgerechnet in der letzten Viertelstunde des Jahres 1926 von ihm sprach, »hat es im Krieg nur zum Gefreiten gebracht und im Leben auch nicht viel weiter. Mit so einem beschäftige ich mich nicht.«
    »Vielleicht er sich eines Tages mit dir«, erwiderte Erwin mit der Freundlichkeit, in der Johann Isidor umgehend den Sarkasmus witterte, der ihn schon immer gekränkt hatte. »Er interessiert sich nämlich sehr für Juden, weißt du. Du solltest mal sein Buch lesen. Ist brandneu.«
    »Du hast schon als Junge unter deinem Niveau gelesen«, erinnerte ihn der Vater. »Jedes Stück, das ich zum Inventur-Ausverkauf zum halben Preis loswerde, interessiert mich mehr als dieser lächerliche Prolet mit dem stechenden Blick. Das kannst du mir glauben, mein Junge.«
    »Das tu ich aufs Wort, Vater.«
    Der Inventur-Ausverkauf war seit Wochen im Gespräch. Die Geschäftsleute rechneten mit höheren Umsätzen als zu Weihnachten. Johann Isidor hatte für das Geschäft in der Berger Straße eigens einen Posten großer Pelzkragen mit Schweif erworben. Er wollte sie für weniger als zehn Mark das Stück anbieten. Anna hatte die Schilder mit dem durchgestrichenen alten Preis und dem verlockenden neuen an der Ware befestigt. Seit zwei

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