02 - Die ungleichen Schwestern
sonst ist sie allen unbekannt.«
»Hat
sie eine heiratsfähige Tochter?«
»Ah ja,
das steht auf einem anderen Blatt. Die Tochter ist ein Bild von einem Mädchen.
Nächste Woche geben sie ihre erste Gesellschaft. Es gibt Leute, die aus
Neugierde hingehen, aber niemand von Bedeutung.«
»Ich
würde diese Tochter gerne kennenlernen«, sagte Lord Tregarthan. »Wirkliche
Schönheiten sind dünn gesät.«
»Die
Familie gehört nicht zur guten Gesellschaft«, sagte Mr. Nevill. »Das heißt,
wenn man nach der Mutter urteilt.«
»Ich
möchte mir ganz gern selbst meine Meinung bilden, Peter, wer dazu gehört und
wer nicht. Die sogenannte gute Gesellschaft kann sehr grausam sein. Ich möchte
mir auch dieses Unglückshaus von innen ansehen.«
»Ich
begleite dich, wenn du willst. Aber es wird niemand, der wichtig ist, dort
sein.«
»Das
stelle ich mir sehr erfrischend vor.«
»Aber
wenn die Leute erfahren, dass du kommst, werden sie natürlich alle hingehen.«
Lord
Tregarthan lächelte boshaft. »Dann wollen wir es niemandem erzählen, Peter. Lass
uns das Gespensterhaus in Ruhe -und Frieden anschauen.«
Lord
Tregarthans Hoffnungen auf einen ruhigen Abend erfüllten sich leider keineswegs.
Mrs. Hart konnte nämlich nicht glauben, dass Lady Doyle sie belogen hatte. Sie
hatte ihr schließlich eine beträchtliche Geldsumme gegeben, damit sie für die
tonangebenden Leute in London Geschenke kaufen konnte, und das Geschenk für Mr.
Brummell, eine Schnupftabaksdose, hatte so viel gekostet, dass Mrs. Hart
zusammengezuckt war.
Obwohl
Mrs. Hart allmählich doch den leisen Verdacht hegte, dass Lady Doyle das Geld
eingesteckt hatte, ohne irgendwelche Geschenke zu kaufen, ging sie direkt auf
den berühmten Mr. Brummell zu, als sie beim Spazierengehen auf der Pall Mall
dem Mann begegnete, der darüber entschied, was Mode war.
Hätte
Mr. Brummell nicht eine Schwäche für schöne Frauen gehabt, die noch keine
zwanzig waren, und wäre Mrs~ Hart nicht in Begleitung Euphemias gewesen, dann
hätte Mr. Brummell sie wahrscheinlich kurzerhand geschnitten. Aber kaum war
sein Blick auf Euphemias bezauberndes Gesicht gefallen, zog er schon seinen Hut
und machte vor Mrs. Hart seine schönste Verbeugung in Erwiderung ihres allzu
vertraulichen Grußes.
Mrs.
Hart fühlte sich geehrt und bat ihn, an ihrer Gesellschaft teilzunehmen; sie
fügte hinzu, sie hoffe, er habe die Schnupftabaksdose, die sie ihm geschickt
habe, erhalten.
Nun
wollte es der Zufall, dass die Duchess of Devonshire Mr. Brummell eine echt
goldene Schnupftabaksdose mit eingelegten Diamanten übersandt hatte, die erst
an diesem Morgen angekommen war. Aber sie hatte vergessen, eine Karte beizulegen.
Mr. Brummell, der sich schon gefragt hatte, wer ihm wohl solch ein prächtiges
Geschenk machte, lächelte Mrs. Hart leutselig an, dankte ihr herzlich und
sagte, er sei entzückt, an ihrer Gesellschaft teilzunehmen.
Begeistert
über ihren Triumph gingen Mrs. Hart und Euphemia weiter. »Jetzt werden alle
kommen«, sagte Mrs. Hart. »Ich bin ja so erleichtert, dass Lady Doyle ihm
wirklich die Schnupftabaksdose in meinem Namen geschickt hat. Ich muss
gestehen, dass ich mich schon allmählich gefragt habe, ob sie nicht doch die
perfekteste Lügnerin ist, der wir je begegnet sind.«
»Nun, Jane
hat immer behauptet, dass sie schwindelt.«
»Pah!
Was weiß denn Jane schon?«
»Wird.
Jane an der Gesellschaft teilnehmen?« fragte Euphemia.
»Nein,
natürlich nicht. Ich habe so schon genügend Ausgaben und kann ihr nicht auch
noch ein neues Kleid kaufen.«
Euphemia
biß sich auf die Unterlippe und schaute ihre Mutter von der Seite an. Sie
wollte ihrer Mutter nicht eingestehen, dass sie sich vor ihrem bevorstehenden
Debüt fürchtete. Wenn Jane dagegen dabei war, würde sich Euphemia überlegen und
sicher fühlen. Es war ihr nicht bewußt, dass sie sich oft auf die größere
Charakterstärke ihrer jüngeren Schwester stützte.
»Ich
glaube, man würde es unangenehm vermerken, wenn
deine
andere Tochter nicht dabei wäre«, meinte Euphemia, »Warum bringst du nicht
diese hinterlistige Französin dazu, auch einmal etwas für ihr Geld zu tun? Sie
könnte eines meiner alten Seidenkleider für Jane ändern.«
»Vielleicht
hast du recht«, antwortete Mrs. Hart widerstrebend. »Diener sind ja so eine
Plage. Rainbird, der Butler, ist recht ehrerbietig und bewandert in allen
Dingen - wenn ich auch zugeben muss, dass ich schockiert war, als er mir
zu verstehen gab, dass ich die Dienerschaft extra
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