Alles Ist Ewig
PROLOG
H aven Moore sah auf die Uhr und wandte sich dann wieder um in Richtung Stadt. Es war noch genug Zeit, um vor Einbruch der Dunkelheit zu Hause zu sein, aber sie ging trotzdem ein bisschen zügiger. Sie wollte nicht allein mit den Toten hier zurückbleiben, wenn die Sonne erst einmal hinter den Bäumen verschwunden sein würde.
Haven hatte nicht damit gerechnet, dass die Appia Antica so menschenleer sein würde. Sonst hätte sie sich einen anderen Ort für ihren Spaziergang ausgesucht. Im Sommer wimmelte es auf dieser berühmten Straße am Stadtrand von Rom nur so von Touristen, die die alten Grabmäler besichtigten. Doch an diesem kalten Februarnachmittag war Haven nur ein paar vereinzelten hartgesottenen Reisenden in Fleecejacken und Wanderstiefeln begegnet. Volle drei Stunden war sie mit ihren Gedanken allein gewesen. Das hatte sie nicht gewollt. Denn im Augenblick waren sie eher gefährliche Gesellschaft.
Der Wind frischte auf, fuhr durch Havens schwarze Locken und zerzauste sie. Sie griff nach den Strähnen, die ihr in die blaugrauen Augen geweht worden waren, und strich sie sich hinters Ohr. Ein Stück vor ihr auf einer kleinen Anhöhe am Straßenrand stand ein Mausoleum, dessen Anblick ihr wohlbekannt war. Mit seiner hohen runden Form ähnelte es eher einem Schlosstürmchen, das aus dem Hügel hervorragte. Haven stellte sich gern vor, dass darunter ein riesiger Palast begraben lag. Wie jedes Mal blieb sie stehen und spähte zu dem gruseligen Kranz aus in den Stein gehauenen Bullenschädeln hinauf, der die Mauer zierte. Ein Stück weiter unten verkündete ein schlichtes Schild, dass es sich bei dem Bau um die Ruhestätte von Caecilia Metella handelte. Caecilias Grab war das berühmteste an der ganzen Via Appia, und trotzdem wusste man kaum etwas über das Leben dieser Frau. Sie musste jedenfalls sehr verehrt worden sein, wenn man ein solches Monument für sie errichtet hatte. Vielleicht war sie schön gewesen oder besonders geistreich oder weise. Was auch immer ihre Geschichte gewesen sein mochte, sie war längst vergessen. Zweitausend Jahre nach ihrem Tod war Caecilia Metella nichts als eine weitere Seele, verloren in der Zeit.
Haven, die plötzlich fröstelte, zog den Reißverschluss ihrer Jacke zu und lief an der Grabstätte vorbei. Am Horizont erschien ein fahlweißes Auto wie der Geist eines New Yorker Taxis. Der Wagen hielt am Straßenrand und zwei Mädchen stiegen aus, die ein drittes vom Rücksitz zogen. Die Gruppe steuerte das Grabmal an, und Haven schätzte, dass die drei etwa sechzehn oder siebzehn sein mussten – nur ein paar Jahre jünger als sie selbst. Alle trugen sie Jeans und identische blaue Sweatshirts, auf die in Weiß die Buchstaben HH gestickt waren. Amerikanische Highschool-Schülerinnen, dachte Haven. Überprivilegierte Gören, die man nach Rom geschickt hatte, damit sie dort ein wenig Kultur tanken konnten. Haven hatte schon einige von dieser Sorte auf der Piazza unterhalb ihrer Wohnung gesehen, wo sie billigen Wein schlürften, um sich anschließend in den Springbrunnenbecken vor aller Augen lächerlich zu machen. Manchmal beneidete sie sie um ihre Unbeschwertheit. Haven war sich darüber bewusst, dass sie selbst ein bisschen zu schnell erwachsen geworden war.
Die drei waren so in ihr Gespräch vertieft, dass sie Haven nicht bemerkten, als sie aneinander vorbeiliefen. Doch sie waren nicht die unbekümmerten Jugendlichen, für die Haven sie gehalten hatte. Das Mädchen in der Mitte wirkte blass und elend. Es hielt den Blick gesenkt und ließ sich von seinen Begleiterinnen die Straße entlangführen.
»Das war gemein von euch, mich so auszutricksen«, wimmerte sie.
»Du wirst uns noch dankbar sein«, hörte Haven eins der Mädchen antworten. »Wie kannst du schon dreimal in Rom gewesen sein, ohne auch nur ein einziges Mal dein Grab zu besuchen?«
Haven blieb stehen.
»Ich hab es euch doch schon erklärt. Ich wusste gar nicht, dass es hier ist«, entgegnete das Mädchen in der Mitte mit heiserer Stimme. »Wenn ich es gewusst hätte, wäre ich nie hergekommen.«
»Aber du hast doch schon vor Monaten von den Gräbern erfahren. Warum hast du nicht wenigstens mal online nach Bildern gesucht? Warst du denn kein bisschen neugierig?«
Diesmal antwortete das Mädchen nicht. Haven warf einen Blick über die Schulter und sah, dass es den Kopf schüttelte.
»Na ja, jetzt bist du ja hier. Guck doch mal.«
Die drei Mädchen blieben stehen.
»Nun guck schon, Caroline!«
Es
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